Die deutsch-russischen Beziehungen in russlanddeutscher Perspektive

Deutschland und Russland sind wirtschaftlich, historisch und kulturell eng verbunden, aber ihre Beziehung zueinander ist aktuell belastet – wie stehen Russlanddeutsche dazu?
Deutschland und Russland sind wirtschaftlich, historisch und kulturell eng verbunden. Doch ihre Beziehung zueinander ist belastet. Die Ukrainekrise, der Krieg in Syrien sowie innenpolitische Entwicklungen zeigen die Uneinigkeit der beiden Länder. Wie blicken insbesondere die rund 2,5 Millionen Spätaussiedler, die aus der ehemaligen UdSSR nach Deutschland kamen, auf diese Entwicklungen? Können sie eine zivilgesellschaftliche Brücke schlagen oder zeigen sich auch hier unterschiedliche Wahrnehmungen? Um dies zu diskutieren, organisierte das Landesbüro NRW der Friedrich-Ebert-Stiftung eine Veranstaltung im Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte in Detmold.
Julia Smilga, Journalistin des bayerischen Rundfunks, moderierte die Veranstaltung und bat Dirk Wiese (MdB) als erstes um eine Einschätzung der aktuellen Herausforderungen zwischen Deutschland und Russland. Der Koordinator der Bundesregierung für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland, den Ländern der östlichen Partnerschaft und Zentralasien wollte vor allem auf die positiven Entwicklungen verweisen und nannte den Petersburger Dialog, ein bilaterales Diskussionsforum, das zuletzt in diesem Jahr in NRW auf dem Petersberg in Königswinter stattfand. 2019 sei das „deutsch-russische Themenjahr der Hochschulkooperation und Wissenschaft“. Auch hier forderte Dirk Wiese mehr mit Russland ins Gespräch zu kommen und weitere Städtepartnerschaften zu initiieren.
Dr. Dimitri Stratieski, stellvertretender Vorsitzender des Osteuropa- Zentrums in Berlin, machte auf die Frage nach Dialogbemühungen in der Beziehung zwischen Deutschland und Russland deutlich, dass man nicht von einer einheitlichen Position in Russland ausgehen könne. So unterscheide sich die Situation in den Provinzen von der in Moskau. Als Politologe nutze er in Bezug auf Russland das Adjektiv „russländisch“ und nicht „russisch“, um auf das Nationalgefühl von Minderheiten in Russland Rücksicht zu nehmen. Und auch die Identität von Deutschen, die aus dem post-sowjetischen Raum nach Deutschland gekommen sind, sei bei weitem nicht einheitlich. Viele seien als Deutsche in der Gesellschaft angekommen und sähen sich nicht als sogenannte Russland-Deutsche. Er bezeichne diese Gruppe als „Russisch-Sprachige“.
Welche Rolle Identität für die Wahrnehmung der Politik in Deutschland und auch für eigenes Engagement spielt, beleuchtete Julia Smilga zunächst mit Dr. Dennis Maelzer, Mitglied des NRW-Landtags mit Wahlkreis in Detmold. Er beschrieb seine Erfahrungen bei Hausbesuchen während des Wahlkampfes. In Stadtteilen wie Herberhausen mit einem hohen Anteil an Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion sei es oft schwierig ins Gespräch zu kommen und Interesse für einen politischen Austausch zu finden. Andererseits zeigten sich dort immer wieder politische Unzufriedenheit, aber leider auch rechtspopulistische Strömungen. Dr. Maelzer betrachtet es deshalb als eine wichtige Aufgabe, weiter den Zugang zu den Menschen zu suchen, im Gespräch zu bleiben und über politische Positionen aufzuklären.
Im Vorlauf der Bundestagswahl 2017 betitelten viele Medien die AFD als Partei der Russlanddeutschen. Dr. Sabrina Mayer von der Universität Duisburg-Essen forscht für das Interdisziplinäre Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung zum Wahlverhalten von Migrantengruppen und war an einer Studie, die sich explizit mit dem Wahlverhalten von Migranten beschäftigt, beteiligt. Sie betonte, dass die Gruppe der Russlanddeutschen die AFD zwar etwas häufiger wählten als die durchschnittliche Bevölkerung, aber nicht stark überproportional. In ihrer Untersuchung lag der Stimmanteil der AFD unter Russlanddeutschen bei der Bundestagswahl 2017 bei 15%, im Gegensatz zum Wahlergebnis von 12,6%. Ein weiteres Ergebnis der Studie war, dass Vladimir Putin in der Gruppe der Russlanddeutschen beliebter als Angela Merkel ist. Insgesamt sei festzuhalten, dass die Wahlbeteiligung in dieser Gruppe sehr niedrig ist (bei 20%). Dies sei zurückzuführen auf einen Mangel an politischem Wissen und an politischem Interesse. Dr. Mayer betonte an dieser Stelle wie wichtig politische Bildung für eine rege Wahlbeteiligung sei. Aber auch die politischen Parteien seien aufgefordert, russlanddeutsche Wähler gezielt anzusprechen. Dabei sei aber stets zu beachten, dass es sich nicht um eine homogene Gruppe handele.
Auch in der Diskussion mit dem Publikum wurde die Komplexität der Situation deutlich. Einige Teilnehmende stellten ihr soziales Engagement vor, um die Beziehung zwischen Russland und Deutschland zu fördern. Auch durch kleinere Projekte in der Jugendarbeit könne viel bewirkt werden. Andere Stimmen verdeutlichten ihre Unzufriedenheit der eigenen Situation und das Gefühl politisch an den Rand gedrängt zu werden. Man fühle sich von den Parteien im Stich gelassen – Versprechungen von Aufstiegschancen würden nicht eingehalten, die Renten von Russlanddeutschen seien sehr niedrig.
Festzuhalten bleibt, dass es nicht einen russlanddeutschen Blick auf die deutsche Politik gibt, sondern die Identitäten und Einstellungen sicherlich so unterschiedlich sind wie in der Gesamtbevölkerung. Das sollte aber nicht heißen, dass politische Parteien sich nicht gezielt um Probleme einzelner Gruppen kümmern sollten. Im Hinblick auf die deutsch-russischen Beziehungen war man sich einig, dass es bei allen unterschiedlichen Standpunkten wichtig ist, weiter im Dialog zu bleiben und zu einem transparenten politischen Umgang zu kommen.
Fotos: Friedrich-Ebert-Stiftung