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Kaukasiendeutsche: Aus Württemberg nach Georgien und Aserbaidschan

In der heutigen Folge stellen wir die Geschichte der Kaukasiendeutschen vor. Das sind Menschen, die vor etwa 200 Jahren überwiegend aus Württemberg in den Südkaukasus eingewandert waren. Es wird darum gehen, was sie in das heutige Georgien und Aserbaidschan gebracht hat, wie sie dort gelebt haben und ob es heute noch Deutsche im Südkaukasus gibt.

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Edwin: Ira, du bist ja in der letzten Zeit sehr viel auf Reisen. Mit einer gewissen Verzögerung erscheint ja auch diese Folge, weil du sehr viel unterwegs warst. Wo bist denn du gerade?

Ira: Hallo Edwin. Ich bin gerade in Armenien, in Jerewan, in der Hauptstadt. Und bin ich hier mit der Deutschen Gesellschaft e.V.. Das ist eine JournalistInnenreise zum Thema „Bergkarabach-Konflikt“. Aber in den vergangenen Wochen habe ich in Georgien gelebt, in Tbilissi und da war ich auch mit einem Journalistinnen-Stipendium. Das ist das IJP-Programm der Zeit-Stiftung. Da durfte ich dann recherchieren und habe da auch bereits Artikel veröffentlicht und Radiobeiträge und habe mich natürlich auch mit meinem Lieblingsthema beschäftigt, und zwar mit den deutschen Spuren dort.

Edwin: Ich glaube, für viele ist es eine unbekannte Region. Da fährt man als Westeuropäer nicht unbedingt mal in den Urlaub. Im Grunde besteht der Kaukasus aus dem nördlichen Teil und aus dem südlichen Teil. Der nördliche Teil ist Teil der Russischen Föderation mit diesen kleineren Teilrepubliken wie Tschetschenien, Inguschetien und andere. Und der südliche Kaukasus sind die drei Republiken Aserbaidschan, Armenien und Georgien. Diese Region ist geografisch in Asien, aber man spricht ja auch von dem Balkon Europas, was ich als Bild sehr schön finde. Wie hast du denn diese Mischung aus Europa und Asien in dieser Region wahrgenommen oder nimmst sie wahr?

Ira: In Jerewan sehe ich das zum Beispiel an der Architektur. Also die Gebäude haben teilweise ein bisschen an den Orient erinnernde Muster an den Fassaden. Man sieht aber hier natürlich auch noch ganz viel Sowjeteinfluss, also sowohl in den Gebäuden als auch in den Relikten, die es noch gibt. Vorhin habe ich ein Gebäude mit Hammer und Sichel drauf gesehen und dann gibt es sowohl in Tbilissi als auch in Jerewan so eine Statue aus der Sowjetzeit. Das ist dann die Mutter Armeniens und die Mutter Georgiens. Die thront so ein bisschen über den Städten. Und kürzlich war ich hier mit einem Armenier spazieren, und dann richtete sich sein Blick auf die Mutter Armeniens, und er meinte, diese Statue verbreite ein schlechtes Karma über seine Heimatstadt und am liebsten hätte er sie weg, weil das einfach so Relikte sind aus der Sowjetzeit, die man eigentlich hinter sich lassen möchte. Und ansonsten merke ich das schon in der Küche. Also diesen orientalischen Einfluss. Gerade hier in Armenien gibt es einfach ganz viel Fleisch-in-Brot-Gerichte, also Lavasch, so ein ganz dünner Teig, im Grunde dünnes Brot. Und da werden dann verschiedene frische Kräuter eingewickelt und Käse oder auch dann Schaschlik und man hat hier ganz viel getrocknetes Obst. Dann hat man diesen armenischen Kaffee, den wir als türkischen Kaffee bezeichnen. Aber die Armenier bestehen darauf, dass sie ihn erfunden haben. Ich habe schon den Eindruck, dass sowohl die Menschen in Armenien als auch in Georgien Richtung Westen orientieren, politisch, aber auch was die demokratischen Bestrebungen in ihren Ländern angeht.

Edwin: Es ist tatsächlich eine spannende Region. Ich habe mich beruflich früher damit beschäftigt, als ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag tätig war und habe auch zu einer gewissen Zeit diese Länder bereist. Darüber würde ich aber dann später erzählen, wenn es dann passt. Aber du hattest mir auch eine Frage vorweggenommen, und zwar: wie merkt man denn den Krieg in der Ukraine, gerade in dieser Region? Du warst auch länger in Georgien, jetzt hast du gerade über Armenien erzählt. Aber was ist denn dir so in Georgien aufgefallen? Wie stehen sie gegenüber den Ukrainern und wie stehen sie gegenüber den Russen?

Ira: Also zunächst einmal Sowohl in Georgien als auch in Armenien hört man wahnsinnig viel Russisch auf der Straße, weil seit Beginn des Krieges sehr viele Russen und Russinnen hierhergekommen sind. In Armenien sind es offiziell circa 50.000 Menschen aus Russland, die hergekommen sind, und in Georgien sind es offiziell etwa 113.000. Inoffiziell heißt es in beiden Ländern, dass es wahrscheinlich viel, viel mehr sind. Also ich habe mit vielen RussInnen in Georgien Interviews geführt, habe aber auch viel mit georgischen Menschen gesprochen und anfangs herrschte schon eine große Spannung. Es gab einen Krieg 2008 zwischen Georgien und Russland und seitdem sind zwei Regionen, das sind insgesamt ein Fünftel der Landesfläche in Georgien, besetzt durch Russland – Südossetien und Abchasien. Und man betrachtet die RussInnen im Land jetzt schon so ein bisschen mit Argwohn, und man weiß nicht so recht, ob Putin uns dann vielleicht auch befreien möchte, wenn dann so viele Russen im Land sind usw.. Also mit einer ähnlichen Argumentation, wie das, was in der Ukraine mit Luhansk und Donezk passiert. Aber mittlerweile haben sich diese Spannungen gelegt, weil man vielleicht verstanden hat, dass vor allem diejenigen Menschen aus Russland gekommen sind, die Putin nicht unterstützen. Also das habe ich so wahrgenommen und man kann frei Russisch sprechen. Hier in Armenien ist die Stimmung gegenüber den russischen Menschen viel, viel freundlicher. Das spürt man, das merkt man definitiv und das habe ich jetzt auch in Gesprächen erfahren.

Aber lass uns doch über die Kaukasiendeutschen sprechen und den Bogen zurückfinden zu unseren russlanddeutschen Themen.

Edwin: Genau du warst ja jetzt vor Ort da unterwegs. Sind denn da noch irgendwelche Spuren zu sehen oder was hast du da jetzt erfahren?

Ira: Ja, verrate ich dir auch gleich. Es gibt dazu einiges zu erzählen. Magst du uns vielleicht ganz kurz was zur Geschichte der Kaukasiendeutschen erzählen? Weil ich glaube, den Part kannst du besser als ich.

Edwin: Weißt du, wo der Unterschied ist zwischen Kaukasus und Kaukasien?

Ira: Nee, aber ich habe, als Katharina Dück mal in einer unserer Folgen Gast war, gelernt, dass man auf jeden Fall Kaukasiendeutsche sagt. Das sei wohl der richtige Ausdruck und nicht Kaukasusdeutsche.

Edwin: Ja, das ist dieser alte deutsche etablierte Begriff für diese Region, genauso wie man früher Moldawien und nicht Moldau gesagt hat. Und bei den Nachfahren dieser Siedler hat sich eben dieser Begriff durchgesetzt. Sie sprechen von sich als die Kaukasiendeutschen. Und in der Wissenschaft hat sich dieser Begriff auch etabliert. Und vor 204 Jahren sind die Vorfahren dieser Menschen, die heute verstreut in Deutschland leben, in diese Region gekommen. Zum Teil gibt es noch Nachfahren von diesen Menschen in den Herkunftsgebieten, aber auch in Nordamerika leben Nachfahren dieser Menschen. Was war das für eine Zeit? Das war die Zeit der Imperialmächte in Europa, die auf jedes aus ihrer Sicht freie Stückchen Land aus waren und sich gegenseitig in Eroberungen überboten haben. Und der Kaukasus war so eine Grenzregion zwischen verschiedenen Imperien. Da waren die Verhältnisse aus der Sicht der großen Mächte nicht so ganz geklärt, und jeder wollte für sich diesen Kaukasus als eine natürliche Grenze sichern. Und so hat Russland gegen das Osmanische und das Persische Reich Kriege geführt, um zuerst den Nordkaukasus und dann den Südkaukasus zu erobern. Das ist dieser historische Kontext. Der Nordkaukasus war eher vom Osmanischen Reich geprägt und im Südkaukasus war der östliche Teil von Persien und der westliche Teil war vom Osmanischen Reich geprägt - das, was wir heute als diese drei Länder bezeichnen Georgien, Aserbaidschan und Armenien. Der Nordkaukasus wurde schon unter Zarin Katharina II Ende 18. Jahrhunderts erobert. Der südliche Kaukasus wurde dann in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts erobert. Das war ein ziemlich bunter, vielfältiger gemischter kultureller Raum von unglaublich vielen Sprachen, von unglaublich vielen verschiedenen ethnischen Gruppen und religiösen Gruppen. Die größtenteils friedlich miteinander gelebt haben, also zum Beispiel in Jerewan oder in Tiflis. Wobei Tiflis oder Tbilissi. Was sagst du?

Ira: Aber sag mal, wer ist denn da eigentlich ausgewandert aus Deutschland und warum?

Edwin: Moment, Moment. Was wollten eigentlich die russischen Zaren dort? Die wollten diese natürliche Grenze. Die wollten ihren Machtbereich ausweiten, damit sie da eine Vorherrschaft ausüben konnten und die Konkurrenten wegdrängen. Und auf der anderen Seite wollten sie tropische, exotische Landschaften in Besitz nehmen, um selbst koloniale Waren zu haben, die es im Russischen Reich nicht gab. Welche kolonialen Waren waren damals so begehrt? Wein, den gab es in Russland nicht wirklich, Tabak oder Seide oder exotische Früchte, Tee, Zucker. Und man hatte gedacht, man bekommt dort diese Länder und kann dann auf den Import dieser exotischen Waren aus Europa verzichten. Was sie aber vorgefunden haben, war jetzt bei weitem nicht die exotische Landschaft mit diesen exotischen Früchten, sondern erst mal 50 Jahre richtig harte Kriege. Eroberungskriege, Kriege gegen Einheimischen, aber auch Kriege gegen diese Nachbarimperien. Und gerade bei diesen Kriegen gegen die Einheimischen lohnt es sich auch aus einer postkolonialen Sicht mal rein zu gucken, was da passiert ist. Also Wissenschaftler sagen, dass einer der ersten modernen Völkermorde, die in Europa passiert ist, war der Völkermord an den Tscherkessen. Das war eine autochthone Minderheit, die nördlich des Schwarzen Meeres an den westlichen Hängen des Kaukasus gelebt hat. Und diese Menschen wurden von Katharina II. verdrängt und umgebracht. Fast ein komplettes Volk. Heute leben die Reste der tscherkessischen Bevölkerung zum größten Teil in der Türkei, damals im Osmanischen Reich. Es gibt sogar einen prominenten deutschen Politiker, dessen Vorfahren Tscherkessen sind: Cem Özdemir. Dazu gibt es ein interessantes Buch von Manfred Quiring „Der vergessene Völkermord. Sotschi und die Tragödie der Tscherkessen“, das ist entstanden im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen in Sotschi. Es gab einen Gouverneur im Südkaukasus, Jermolov hieß der. Für die Russen im 19. und 20. Jahrhundert war das der Kriegsheld überhaupt. Der hat gegen Napoleon gekämpft, er hat gegen die Osmanen gekämpft, er hat die Perser besiegt. Und er war der erste Generalgouverneur des eroberten Südkaukasus. Für die Südkaukasier und überhaupt für die Kaukasier ist er als der schlimmste Schlächter ihrer Geschichte in Erinnerung geblieben. Dieser Mensch hatte sich nur abschätzig über die Kaukasier geäußert. Er erhielt nichts von ihnen. Für ihn waren sie Nichtsnutze und auch noch gefährliche potenzielle Verräter. Und er hatte diese Idee gehabt europäische Siedler in den Kaukasus einwandern zu lassen. Gerade als diese Idee aufkam sind in dieser Zeit die Schwarzmeerdeutschen eingewandert. Damals war Zar Alexander I. an der Macht, war Enkelsohn von Katharina der Großen und er wurde gebeten, das Kolonistenmanifest zu erneuern und sich in Deutschland nach neuen Kolonisten umzusehen. Und jetzt kommt die andere Seite, also die deutsche Seite. Was war damals in den deutschen Ländern los? Wir sind so ungefähr im Jahr 1815. Was glaubst du, was die Leute damals so richtig Sorgen bereitet hatten? Was, was in dieser Zeit so problematisch war?

Ira: Die hatten auf jeden Fall gute Gründe auszuwandern. Die napoleonischen Kriege lagen hinter ihnen, es gab Hungersnöte, aber auch Glaubensfragen. Denn in Württemberg hatte sich eine Gruppe gebildet, das waren die Pietisten, das war so eine Art Sekte innerhalb der evangelischen Kirche.

Edwin: außerhalb der evangelischen Kirche. Deswegen nannte man sie Separatisten.

Ira: Separatisten genau. Und Ich werfe das jetzt schon mal ein, weil ich das so verrückt finde. Also wir sind Anfang des 19. Jahrhunderts und diese Leute glaubten daran, dass 1836 eine Rückkehr Jesu Christi stattfindet und dass dann das 1000-jährige Reich Gottes beginnen wird. Und sie wollten unbedingt 1836 in Jerusalem sein, wenn das Ganze losgeht. Sie waren aber gerade in Württemberg. Und kleines Problem damals hat man die Christen im Osmanischen Reich leider nicht aufgenommen. Und dann dachten sie na gut, dann gehen wir halt in die Nähe. Und dann kam das ganz günstig, dass Zar Alexander I. gerade auch Leute für den Kaukasus anwarb. Und so haben sie sich dann in diese Richtung aufgemacht.

Edwin: Genau. Und Zar Alexander I. war ja selbst ein halber Schwabe. Seine Mutter war die württembergische Prinzessin und seine Ehefrau war eine badische Prinzessin. Insofern war Alexander I. sowieso mit den Württembergern verbandelt und hat immer mitbekommen, was da los war. Und diese Separatisten waren damals eben die Ruhestörer in Württemberg und man wollte sie loswerden. Da hat sich eben diese Gelegenheit gut angeboten, die dahin abzuschieben. Diese Menschen sind in mehreren Trecks 1817- 1818 über Bessarabien, über Odessa und dann über den Hauptkamm des Kaukasus in diese Gegend eingewandert, zuerst in die Nähe von Tiflis und anschließend, als es keinen Platz mehr gab, hat man sie in die muslimisch geprägten Regionen, die östlich davon lagen angesiedelt. Ungefähr zwischen der heutigen Hauptstadt Georgiens und der heutigen Hauptstadt Aserbaidschans, Baku, also so in der Mitte des Südkaukasus. So sind damals innerhalb kürzester Zeit ungefähr 3000 Personen eingewandert und haben ungefähr zwei Dutzend Siedlungen gegründet, die man Schwabendörfer genannt hat und die wahrscheinlich heute immer noch so heißen. Oder?

Ira: Ja, ich weiß gar nicht, ob der Begriff Schwabendorf noch so verbreitet ist, aber diese Dörfer existieren tatsächlich noch zum großen Teil. Sie tragen nur andere Namen. Also viele der württembergischen Einwanderer sind dann in Tiflis geblieben und die größte Siedlung aber war dann Katharinenfeld. Das ist ungefähr 60 Kilometer von Tbilissi entfernt, heißt heute Bolnissi. Da haben bis zur Deportation 1941 – auf das Thema kommen wir gleich –allein in dieser Siedlung 6500 Nachkommen dieser schwäbischen oder württembergischen Einwanderinnen gelebt. Die ersten Jahre der Einwanderung, die waren natürlich hart, wie es auch im Schwarzmeerraum war, oder auch im Westen der Ukraine, wo meine Großeltern herkommen. Aber diese Württemberger haben sich dann ganz gut behauptet, und sie waren vor allem erfolgreich mit Weinbau. Hast du dazu eine genauere Info?

Edwin: Wolltest du noch wissen, ob das Ende der Welt kam?

Ira: Ja, ich habe mich dann echt gefragt, wie das war. 1836 war ja das große Jahr. Sie haben jetzt Jesus Christus erwartet. Er ist offensichtlich nicht gekommen. Wie haben Sie denn darauf reagiert?

Edwin: Diese Siedler wurden in der ersten Zeit als sehr reserviert und abgeschottet lebend beschrieben, weil sie nicht wirklich motiviert waren, sich zu integrieren. Ich meine, wenn du tagtäglich in der Erwartung des Endes der Welt lebst, dann bist du nicht wirklich motiviert. Sie waren sehr fromm und haben jeden Kontakt zu der einheimischen Bevölkerung gemieden. Aber dann kam eben dieses verheißungsvolle Jahr immer näher und näher und sie hatten mehrmals die russische Regierung oder den Gouverneur gebeten, ob sie doch bitte abziehen dürfen in Richtung Jerusalem oder wenigstens an den heiligen Berg Ararat, weil sie da eben auch die Wiederkehr Christi erwartet haben. Hast du den Ararat gesehen, wo du jetzt in Jerewan bist?

Ira: Ich habe den Ararat gesehen. Du meine Güte! Jerewan ist, ein bisschen hügelig. Und wenn du so ein bisschen weiter oben stehst, kannst du von einigen Stellen aus ganz gut auf den Ararat blicken. Der ist Luftlinie nur 20 Kilometer von hier entfernt, liegt aber bereits auf türkischem Staatsgebiet. Und dieser Berg ist über 5000 Meter hoch und das haut einen um. Man verbindet den Berg Ararat mit der Arche Noah und man sagt, dass die Arche Noah auf dem gestrandet sei. Und deswegen ist er auch für die armenischen Menschen bis heute ein heiliger Berg. Nur blöd halt mit der Türkei, weil da hat man ja eine Feindschaft spätestens seit 1915 und dem Genozid an den armenischen Menschen.

Edwin: Das Besondere an dem Berg ist, dass er ähnlich wie der Kilimandscharo alleinstehend ist. Das ist keine Bergkette, sondern ein alleinstehender Berg. Der ist an sich nicht so wahnsinnig hoch, aber dadurch, dass er allein steht, wirkt er so mächtig in der Landschaft und deswegen ist es so beeindruckend, ihn zu sehen. Wir sind jetzt wieder bei den Schwaben in den 1830er Jahren. Irgendwann haben sie die Erlaubnis bekommen, Kundschafter nach Jerusalem und ins Osmanische Reich hinzuschicken. Jerusalem, für die, die es nicht wissen, ist ja heute in Israel. Aber Israel war damals Teil des Osmanischen Reiches. Und die Kundschafter sind dann nach mehreren Wochen zurückgekommen und haben gesagt: Uns hat das nicht gefallen. Lasst uns da bleiben. Die haben dann beschlossen, hier zu bleiben und einfach mal in die Zukunft zu sehen. Das Thema „Ende der Welt“ war dann von der Agenda genommen worden und erst dann haben diese Siedlungen angefangen sich richtig zu entwickeln. Die Menschen haben Motivation bekommen, wirtschaftlich Fuß zu fassen und zum Teil auch mit der einheimischen Bevölkerung zu interagieren, indem man zumindest die wirtschaftlichen Kontakte genutzt hatte. Einen Schwerpunkt ihrer wirtschaftlichen Entwicklung fanden sie dann doch im Weinbau, von dem es wahrscheinlich heute noch so Anklänge gibt.

Ira: Ja, definitiv. Gerade in Bolnissi, der größten deutschen ehemaligen Siedlung in Georgien. Da war ich zweimal und da ist Weinbau immer noch ein großes Ding. Und es gibt tatsächlich da noch ein paar schwäbische Menschen, die von diesen ersten Einwanderern abstammen. Ich war zum Beispiel bei einer Frau zu Hause. Tamara, die es über 80 Jahre alt und hat im breitesten Schwäbisch mit mir gesprochen. Ich habe nur einen Teil verstanden und habe Katharina Dyck, die ja Spezialistin ist für diese Dialekte, schon gebeten – ich habe alles aufgenommen mit meinem Handy –mir dann beim Übersetzen helfen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich alles verstanden habe, aber Tamara hat uns dann in den Keller geführt. Das ist ein altes deutsches Haus, in dem sie lebt. Und alle deutschen Häuser haben unter ihren Häusern riesige Keller, wo auch der Wein gelagert wurde und immer noch wird. Sie hat uns dann Wein angeboten und sie meinte, dass ihn ihr Sohn anbaut, und zwar in dem Wingart von der Mama. Also wirklich so auf Deutsch auch gesagt. Weinbau ist immer noch ein großes Ding dort. Und genau damit wurden sie erfolgreich.

Edwin: Wein ist im Kaukasus eigentlich ein Dauerbrenner. Wenn ich Führungen bei uns im Museum gebe - wir haben auch eine Ecke zu den Kaukasiendeutschen und da sind Flaschen von diesen früheren deutschen Winzereien ausgestellt, dann erzähle ich immer, dass es bei diesem Thema so ist wie Eulen nach Athen zu tragen. Zumindest die Georgier erzählen, dass es wissenschaftlich belegt ist, dass auf dem Gebiet des heutigen Georgiens der erste kultivierte Weinanbau von Archäologen nachgewiesen wurde. Das heißt, es gab Weinverarbeitung aus prähistorischer Zeit, bzw. aus der aus der Bronzezeit. Es ist nachgewiesen, dass Menschen vor 3000 Jahren da auch schon Wein gekeltert haben. Was die Deutschen aber gemacht haben, war in gewisser Weise wahrscheinlich so, dass sie die ganze Sache mit einem marktwirtschaftlichen Sinn angegangen sind. Es gibt eine sehr schöne Legende, wie sie zum Weinbau gekommen sind. Und zwar waren es reisende Tuchhändler aus Frankreich, die unterwegs von Tiflis nach Persien waren. Dabei sind sie an der deutschen Kolonistensiedlung Helenendorf vorbeigekommen - das ist übrigens die größte deutsche Siedlung im Kaukasus gewesen und war noch größer als Katharinenfeld. Und dann haben sie sich dieses Elend angeschaut und haben festgestellt, dass sie mit den Menschen auch auf Deutsch kommunizieren können. Und dann haben sie die gefragt: Ja, warum baut ihr denn nicht Wein an? Das ist doch die perfekte Gegend, um Wein anzubauen. Sie waren von diesem Impuls überzeugt, dass es sich lohnen könnte und haben angefangen, einheimische Rebsorten zu kultivieren. Sie haben nicht den deutschen Riesling und die deutschen Weinsorten, die sie aus ihrer Heimat kannten als erstes angepflanzt, sondern die haben das genommen, was dort an die klimatischen Bedingungen schon angepasst war. Eigentlich lebten sie in einem muslimischen Umfeld. Muslime haben mit dem Alkohol nichts am Hut. Aber es gab auch armenische Händler bzw. armenische Nachbarn, die Wein angebaut hatten. Und diese armenischen Nachbarn haben georgische Weinsorten angebaut. Interessant, was für eine kulturelle Melange. Das ist wirklich sehr spannend. Es gab eine Familie Vohrer, eine Familie Hummel und später gab es noch die Weingenossenschaft Concordia. Die haben diese ganze Sache so in einem modernen Sinne gestaltet und sind damit auch im Industriezeitalter angekommen. Sie haben nicht nur Wein, sondern Spirituosen verschiedenster Art, auch Wodka, Weinbrand, Cognac, später sogar Bier produziert. Weißt du, woher sie den Hopfen hatten?

Ira: Ne, verrate es mir.

Edwin: Na, da, wo deine Vorfahren gelebt haben.

Ira: Ah, aus Wolhynien. Also der Nordwestukraine? Ja, Bier war eine große Sache in Tiflis. Da gab es eine große Bierbrauerei.

Edwin: Und das passte auch sehr gut mit der Zeit zusammen, weil am Kaspischen Meer in Baku damals der Ölboom ausgebrochen ist. Das heißt, es war ein place to be. Viele Menschen waren auf der Suche nach Glück nach Baku gekommen, um auf den Erdölfeldern zu arbeiten. Meistens waren das ja Männer. Und wie haben sie sich dann die Zeit vertrieben? In den Trinklokalen. Und diese Trinklokale wurden beliefert von den Familien Hummel und Vohrer. Und es hatte nicht lange gedauert, bis sie Dependancen im ganzen Russischen Reich hatten. Zu einem gewissen Zeitpunkt, es war Anfang des 20. Jahrhunderts vor der Oktoberrevolution, haben allein diese zwei Familien und diese Weingenossenschaft 10 % des Spirituosenmarktes im Russischen Reich unter sich aufgeteilt. 10 %! Stelle dir das mal vor. Diese frommen Pietisten haben dafür gesorgt, dass die Leute im Russischen Reich nicht verdurstet sind.

Ira: Du hast gerade Helenendorf erwähnt, das liegt ja heute in Aserbaidschan und ich weiß, dass du dort warst. Und ich möchte, dass du uns gleich mal deine Eindrücke schilderst. Ich komme jetzt ganz kurz darauf zurück, weil du mich gefragt hast, was man heute vom deutschen Kulturerbe in Georgien sieht. Zum einen hatte ich den Eindruck, dass man etwas mehr sieht, als es in der Ukraine der Fall war. Und ich habe zu diesem Thema den Professor Oliver Reisner in Tbilissi getroffen. Er leitet den Verein zur Bewahrung des deutschen Kulturerbes im Kaukasus und konnte mir diese Beobachtung auch erklären, denn er meinte, zum einen hat der Zweite Weltkrieg einfach nicht auf südkaukasischem Boden getobt, wie das eben in der Ukraine der Fall war. Man hat diese Besatzung nicht erlebt. Das heißt, man hatte nicht so viele Ressentiments gegenüber den Deutschen. Und zum anderen hatten die Deutschen aufgrund dieser Weinanbaugeschichte, aber auch aufgrund der kulturellen Einflüsse in Tiflis einen sehr guten Ruf in Georgien. Und das spannende ist - so ein bisschen Nerdwissen - er hat mir erzählt bzw. Katharina Dyck hatte mir auch davon erzählt, dass es die „deutschen Tanten“ gab. Sie sind so ein Beweis dafür, dass die Deutschen bis heute und auch nach dem Zweiten Weltkrieg einen richtig guten Ruf in Georgien hatten. Und zwar waren das illegale Kindergärten in Privathäusern von Deutschen. 1941 wurden fast alle kaukasisch Deutschen deportiert nach Kasachstan und Sibirien. Das waren zu dem Zeitpunkt so knapp 50.000 Menschen und nur ganz wenige sind geblieben. Das waren vor allem Menschen, die eben mit Georgiern, Armeniern, Aserbaidschanern verheiratet waren und keinen deutschen Nachnamen trugen und deswegen nicht auf Listen gelandet sind. Und einige dieser deutschstämmigen haben in Tbilissi diese deutschen Kindergärten gegründet. Und da haben die georgischen Familien wirklich sehr, sehr gerne ihre Kinder in Betreuung gegeben, weil bei diesen deutschen Tanten, so hießen dann diese Kindergärtnerinnen, haben ihre Kinder dann Deutsch gelernt. Ss gibt auch ein Buch dazu. Es heißt „Unsere deutschen Tanten“ und ist 2020 erschienen. Das gibt es auf Deutsch. Ich habe es noch nicht gelesen, aber es steht auf jeden Fall auf meiner Wunschliste. Und diese deutschen Kindergärten gab es bis Ende der Sowjetunion. Heute gibt es die leider nicht mehr. Aber es ist ein superspannendes Thema und ich werde das nachrecherchieren, wenn ich Ende des Jahres wieder in Georgien bin.

Ansonsten gibt es einiges zu sehen. Beispielsweise sind einige Kirchen erhalten in Bolnissi. Die wurde nach Ende des Zweiten Weltkriegs leider nicht mehr als Kirche genutzt, aber immerhin wurde sie nicht abgerissen. Nur der Kirchturm wurde abgerissen. Das heißt, wenn du vor dem Gebäude stehst, siehst du nicht, dass es mal die evangelische Kirche war. Wenn du aber um das Gebäude herum gehst siehst du an der Seite ganz klar das Kirchenschiff. Heute ist da eine Turnhalle drin. Professor Reisner hat mir erklärt, dass man das zu einem Kulturzentrum umbauen möchte. Und man sieht heute in Bolnissi / Katharinenfeld immer noch 400 Häuser dieser deutschen Einwanderer, und die sind zum Teil recht gut erhalten. Das sind Fachwerkhäuser mit diesen Kellern usw. Manche sind auch schon vom Verfall gezeichnet, aber man bemüht sich sehr um den Erhalt des deutschen Kulturerbes. Professor Reisner hat mir erzählt, dass es dafür Fördergelder von georgischer aber auch von deutscher Seite gibt. Und es gibt zum Beispiel an den alten deutschen Häusern in Bolnissi große Erklärtafeln auf Deutsch und auf Georgisch, wer da mal drin gewohnt hat. Es gibt ein kleines Museum im Ort und es gibt eine alte deutsche Mühle, die ein deutscher Unternehmer vor einigen Jahren gekauft und renoviert hat und wo man zum einen auch dieser Geschichte begegnet, zum anderen kann man da auch wunderbar essen und übernachten. Also dieses kulturelle Erbe ist selbst in Tbilissi präsent. Wobei auch viele Sachen natürlich schon abgerissen und nicht mehr sichtbar sind. Aber das ist so ein bisschen der Unterschied zur Ukraine, wo ich den Eindruck hatte, da ist weniger sichtbar.

Edwin: Genau das kann ich nur bestätigen, auch im Unterschied zum Wolgagebiet. Man hat halt eben in Georgien noch dieses geschlossene Stadtbild oder Ortsbild von diesen Siedlungen. Ähnlich jetzt auch in Aserbaidschan. Das kann ich nur bestätigen.

Ira: Ja, ich ergänze nur noch eine Sache. Die deportierten kaukasischen Deutschen, die durften dann theoretisch nach Stalins Tod zurückkehren, aber nicht exakt in die Siedlungen, aus denen sie kamen. Und insgesamt sind nur wenige zurückgekehrt in den Kaukasus. Ich war bei einem Gottesdienst in Bolnissi dabei. Da waren tatsächlich einige Deutschstämmige, aber die meisten waren aus Kasachstan, kamen aber ursprünglich aus der Ukraine. Also das waren gar nicht Kaukasiendeutsche, die zurückgekehrt sind, sondern andere Russlanddeutsche. Also es gibt eine Handvoll echter kaukasiendeutscher Menschen noch in Bolnissi und in den anderen Dörfern. Aber insgesamt spricht man in Georgien von ungefähr 2000 Menschen. Vor dem Zweiten Weltkrieg waren es über 20.000.

Edwin: Ich wollte nur für das allgemeine Bild etwas dazwischenschieben. Ich sprach vorhin davon, dass 3000 eingewandert sind. Dann haben sie bis zum Zweiten Weltkrieg etwa 130 Jahre da gelebt und es waren in etwa insgesamt 50.000, die sowohl in Georgien als auch in Aserbaidschan gelebt haben. Sie waren in verschiedenen Vereinen organisiert. Sie hatten ein eigenes deutschsprachiges Bildungswesen, wie zum Beispiel das deutsche Gymnasium in Tiflis und hatten sogar eine eigene Zeitung „Die Kaukasische Post“.

Ira: Die gibt es immer noch. Ich habe mit dem Redakteur gesprochen, also die gab es eine Zeit lang nicht mehr und seit Anfang oder Ende der 90er gibt es die wieder. Und das ist eine Zeitung, die mehr oder weniger regelmäßig erscheint. Sie ist auf Deutsch und behandelt deutsch-georgische Themen. Und jetzt haben wir ganz viel über Georgien gesprochen. Ich weiß, dass 2016 in Aserbaidschan warst und in Helenendorf. Erzähl mal, was hat dich dahin geführt und was hast du da erlebt? Und wie sieht es mit der deutschen Minderheit heute in Aserbaidschan aus?

Edwin: 2016 war ich sowohl in Aserbaidschan als auch in Armenien. Es ging vordergründig um den Bergkarabach-Konflikt und ich hatte damals mit meinem früheren Chef im Bundestag diese Reise vorgenommen, hatte zum Beispiel auch einen Vortrag in Baku an der Universität zum deutschen Parlamentarismus gehalten und dann in Jerewan bei den zentralen Gedenkveranstaltungen zum Genozid an den Armeniern teilgenommen. Wir waren bei dieser Gedenkveranstaltung, weil zwei Jahre davor hatten wir im Bundestag die Anerkennung des Völkermordes an Armeniern vorangetrieben. Zum Glück dann auch erfolgreich und es wurde zumindest vom Deutschen Bundestag als Völkermord anerkannt. Weil diese zwei Länder keine direkten Verbindungen haben – man kann weder mit dem Auto noch mit dem Zug oder mit dem Flugzeug aus Baku nach Jerewan fahren – sind wir auf dem Landweg mit dem Auto über Georgien gefahren. Und da kommt man eben an diesen früheren deutschen Siedlungen vorbei. Wir waren in den zwei größten früheren Kolonien, also Helenendorf, das heute Göygöl heißt und Annenfeld, die heutige Stadt Şəmkir (Schamkir). Das war für mich sehr beeindruckend, weil mit so viel Liebe, wie sich die Menschen um dieses Kulturerbe gekümmert haben und sich nach wie vor kümmern, habe ich in diesem Zusammenhang kaum im östlichen Europa und in den postsowjetischen Staaten gesehen. Aserbaidschan scheut sich da auch nicht davor auch richtig viel Mittel zu investieren, um zum Beispiel alte evangelische Kirchen instand zu halten und instand zu setzen. Zum Beispiel in Şəmkir war ich total beeindruckt von dieser evangelischen Kirche, die da mitten im Ort steht, die äußerlich für mich irgendwie so sehr italienisch wirkte. Ich dachte, ich bin in der Toskana, auch von der Landschaft her und vom Klima und von der Bauart. Und die haben da eine der teuersten Orgeln reingestellt, die es in der Großregion gibt. Es gibt dort dann Orgelkonzerte. Die evangelische Gemeinde in ganz Aserbaidschan ist sehr klein. Die Mehrheit in Aserbaidschan ist muslimisch und die evangelische und christliche Gemeinde ist sowieso relativ klein, aber es war für die örtlichen Behörden sehr wichtig, diese Kirche dann als Gotteshaus zu erhalten und zumindest Musikveranstaltungen dort anzubieten. Ich bin auch mit der einheimischen Bevölkerung in Kontakt gekommen und habe mich einfach nur mal mit Menschen unterhalten, die ich auf der Straße getroffen habe, die in den Häusern leben, in denen früher Kaukasiendeutsche lebten. Heute sind sie noch gut erhalten, wobei sie jetzt so ein bisschen nach schwäbischer Art stilisiert sind. Sie waren voller Bewunderung für die Taten dieser Menschen, die da gelebt haben. Sie konnten sich an diese Weintradition erinnern und hatten alle eine persönliche Geschichte zu erzählen, im Sinne von: Ja, mein Großvater hat damals Karriere gemacht in diesem Weinbaubetrieb, obwohl er Aserbaidschaner und Moslem war. Aber er hatte das Auskommen für die ganze Großfamilie bekommen, dadurch, dass er da in diesen Betrieben gearbeitet hat. Was mich auch sehr begeistert hat, war die Begegnung mit einem älteren Ehepaar in Sumqayit. Das ist eine Arbeiterstadt in der Nähe von Baku und war keine deutsche Siedlung. Da gibt es aber einen deutschen Kriegsgefangenenfriedhof, von den deutschen Kriegsgefangenen, die nach dem Zweiten Weltkrieg dort auf diesen Erdölfeldern Zwangsarbeit verrichten mussten. Und dieses Ehepaar, hat sich größtenteils ehrenamtlich um diese Kriegsgräber gekümmert, als ob es ihre eigenen Verwandten wären, obwohl das damals im Grunde ihre Feinde waren, also wahrscheinlich die Feinde ihrer Väter oder Großväter. Und die finden das sehr wichtig, sich um dieses Erbe zu kümmern, weil das aus ihrer Sicht unsere Kulturen, unsere Nationen zusammenbringt. Bei aller Kritik an der aserbaidschanischen Staatsführung, die ist ja nicht frei von Autokratie und man bekommt ja auch mit, wie sie sich in bestimmte politische Entscheidungen in Europa dadurch einmischen, dass sie Politiker korrumpieren. Aber auf der anderen Seite braucht Europa Aserbaidschan gerade auch als eine alternative Energiequelle zum russischen Gas und russischen Erdöl. Und deswegen ist es wichtig, dann trotz aller Konflikte in dieser Region und trotz aller undemokratischer Erscheinungen da im Kontakt zu bleiben. Und die Aserbaidschaner sehen die Brücke eben in der Pflege dieses deutschen Kulturerbes. Die haben 2018, als dieses 200-jährige Jubiläum der Schwabenansiedlung in ihrer Region gefeiert wurde, das in den UNESCO-Kulturerbe-Kalender eintragen lassen, als eine zentrale Veranstaltung, die von Aserbaidschan initiiert wurde. Das war für sie sehr wichtig und das fand ich dann schon sehr imponierend.

Ira: Wegen Armenien noch. Hier haben ja auch ein paar Deutsche gelebt. Ich war gestern in der deutschen Botschaft hier in Jerewan und habe explizit nach einer deutschen Minderheit gefragt. Aber die meinten: Ja, es gibt noch eine Vereinigung aus ein paar Leuten und dass man mit denen ab und zu mal Kontakt habe. Aber es sind bei weitem nicht so viele Menschen wie in Georgien, die auch anders organisiert sind. Also zum Beispiel in der evangelischen Kirche in Tbilissi und in Bolnissi, oder es gibt auch den Verein „Einung“ in Tbilissi. Also da ist auf jeden Fall viel mehr noch da.

Edwin: Und ich wollte nur ergänzen, in Aserbaidschan gibt es keine deutsche Minderheit. Also nicht, dass es mir bewusst war, dass es eine Vereinigung gibt. Es ist ja so, dass diejenigen, die in Armenien heute oder vielleicht auch verstreut in Aserbaidschan leben, eher Russlanddeutsche sind, die vielleicht dann später in den 70er, 80er Jahren auf Berufswegen mal dahin gelangt sind, aber jetzt nicht unbedingt Nachfahren von den Siedlern sind.

Ira: Genau, das vermute ich auch. Ich wollte noch kurz was zu den aktuellen Herausforderungen sagen der deutschstämmigen in Georgien. Vielleicht kannst du da auch ergänzt. Ich habe mit einigen gesprochen, die beispielsweise schon seit Jahren versuchen, als Spätaussiedler und Spätaussiedlerinnen in der Bundesrepublik anerkannt zu werden und gerne aus Georgien auswandern würden. Und das ist gar nicht so einfach. Zum einen können sie die Abstammung nachweisen, weil man Zugang zu den Archiven hat. Aber das andere ist, das hat mir zumindest ein Mann gesagt und ich weiß nicht, vielleicht kennst du dich da auch ein bisschen besser aus. Er meinte, er kann das Deportationsschicksal nicht nachweisen, was auch für die Anerkennung wichtig sei, weil seine Großmutter nicht deportiert wurde. Sie war mit einem Georgier verheiratet und deswegen ist sie auch da geblieben aber die gesamte restliche Verwandtschaft wurde nach Kasachstan deportiert. Die sind dann alle irgendwann mal Anfang der 90er nach Deutschland ausgewandert. Also das sind so Herausforderungen, von denen mir die Menschen, die deutschstämmig sind, in Georgien erzählt haben.

Edwin: Man müsste sich die Sache genauer angucken, aber die Menschen waren trotzdem nicht frei von Sonderaufsichtspflicht. Das heißt, wenn man Deutscher war, musste man sich dann bis 1955 bei den örtlichen Sicherheitsbehörden immer wieder melden und war unter deren Beobachtung. Das wird als Kriegsfolgenschicksal auch anerkannt. Wo wir gerade bei diesem Thema sind und vorhin noch nicht darüber gesprochen haben, möchte ich mal einen Namen von einer Kaukasiendeutschen nennen, die viel Wichtiges als Literatin geschaffen hat und wirklich viele interessante Zeugnisspuren hinterlassen hat. Es ist Nora Pfeffer, die Dichterin und die Autorin, die den größten Teil ihres Lebens in der Deportation in Kasachstan verbracht hatte und viel über ihr Repressionsschicksal gesprochen hat. Sie war in vielen Lagern und hatte wirklich Schweres erlitten. Also die meisten haben damals Schweres erlitten, aber sie war eine der wenigsten, die ungeschminkt und sehr direkt darüber gesprochen hat. Und es gibt Zeitzeugengespräche mit ihr, aufgenommen bei einem Projekt der Bundesstiftung Aufarbeitung und zu finden auf deren Internetseite.

Ira: Habe ich übrigens gehört. Großartig! Das hat mich so beeindruckt. Diese Frau ist unglaublich.

Edwin: Also da kriegt man Gänsehaut, wenn man ihr zuhört, wie sie das erzählt. Sie war verheiratet mit einem Georgier, der zu diesem Zeitpunkt an der Front war. Aber es hat sie trotzdem nicht davor geschützt, deportiert zu werden und dann in ein Arbeitslager zu kommen. Diese Berichte kann man wirklich nur empfehlen. Überhaupt auch ihre Lyrik und ihre Literatur. Ihr wurde gerade auch ein Literaturpreis gewidmet.

Ira: Ja, genau, der Nora-Pfeffer-Literaturpreis, der ist von den Nürnbergern oder wer lobt denn aus?

Edwin: Ja, das Bayerische Kulturzentrum der Deutschen aus Russland. Genau die haben diesen Preis gestiftet.

Ira: Ich habe kürzlich gesehen, dass Katharina Dück den tatsächlich unter anderem gewonnen hat. Eine unglaublich tolle, beeindruckende Frau, die sich eigentlich eher mit den Dialekten im Südkaukasus beschäftigt, aber die auch Gedichte schreibt und auch einen Roman angefangen hat zu schreiben. Aber ich glaube, sie ist immer noch nicht fertig. Übrigens, was ich noch sagen wollte: Wir haben ganz viel darüber gesprochen, dass diese Einwanderer aus Süddeutschland hier im Südkaukasus vor allem landwirtschaftlich tätig waren. Das stimmt auch. Aber das waren auch ganz andere Leute, also gerade die, die in Tiflis gelebt haben, das waren Apotheker, das waren Bäcker, das waren Leute, die im industriellen Bereich Großes geleistet hatten für Tiflis und für Georgien. Also es waren ganz unterschiedliche Spezialisten.

Edwin: Also ich habe das dir ja mal erzählt, das wenn ich jetzt nicht Kulturreferent für Russlanddeutsche geworden wäre, wäre ich Archäologe geworden. Und es gab tatsächlich einen Jakob Hummel, der einer der anerkanntesten Archäologen im Südkaukasus geworden ist. Vor dem Zweiten Weltkrieg, vor den stalinistischen Repressionen, von denen er auch betroffen war. Viele Entdeckungen und viel archäologische Forschung, die heute auch benutzt wird, stammt von ihm.

Ira: Edwin, ich habe das Gefühl, wir haben jetzt alles irgendwie nur so ein bisschen an der Oberfläche angekratzt. Ich finde das Thema so spannend und es gibt noch so viel dazu zu lesen. Es gibt auch richtig tolle Bücher über Kaukasiendeutsche, da werden wir einfach auf der Webseite drauf verlinken. Also ich habe auch einen riesigen Bücherstapel aus Georgien mit nach Deutschland schleppen müssen, weil ich die auch geschenkt bekommen habe. Und da sind richtig gute Werke dabei.

Edwin: Einen Namen muss man nennen, und zwar Eva-Maria Auch. Sie war Professorin an der Humboldt Universität zu Berlin. Und sie hat eigentlich aus meiner Sicht die wichtigsten Werke zu den Deutschen in Kaukasien geschrieben. Unter anderem das Buch „Öl und Wein am Kaukasus“.

Ira: Ich wollte das jetzt zum Ende unserer Folge dir gratulieren, lieber Edwin, oder uns gratulieren, denn wir haben einen Preis gewonnen für unseren Podcast Steppenkinder.

Edwin: Wir haben den Russlanddeutschen Kulturpreis des Landes Baden Württemberg bekommen. Einen Kulturpreis, der einmal in zwei Jahren verliehen wird. Also ich gratuliere dir auch dafür. Ich weiß nicht, wann diese Folge erscheint, aber für uns, also jetzt in der Echtzeit ist diese Veranstaltung nächste Woche in Stuttgart.

Ira: Und wir danken euch, die uns seit jetzt schon über zwei Jahren zuhören von Herzen, weil ohne euch würden wir diesen Preis nicht gewinnen. Und das motiviert uns natürlich extrem weiter zu machen und auch weiter zu sprechen über Deutsche im Südkaukasus, in der Ukraine, an der Wolga usw. Da haben wir ja noch einige Themen offen.

Edwin: Ja, und von meiner Seite danke auch an alle Expertinnen und Experten, die mit dabei waren oder auch viele interessante Menschen, mit denen wir ins Gespräch gekommen sind. Ich glaube, hätten wir diesen Podcast nicht, hätten wir diese Menschen nicht in dieser Tiefe kennengelernt. Und insofern auch ein großes, großes Dankeschön an diejenigen, die auch mitgemacht haben und diejenigen, die auch nicht unbedingt sichtbar, aber bei uns mit im Team sind. Vor allem Jan, David, Eduard und Birgit und viele, viele andere, die hin und wieder mal mit dem Podcast mal in Berührung gekommen sind.

Ira: Ja, und vielen Dank auch an alle unsere Projektpartner. Wir haben ja mit einigen zusammengearbeitet: Mit der Deutschen Gesellschaft, mit Dekoder, mit dem Deutschen Kulturforum östliches Europa und natürlich die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, Claudia Roth, die den Podcast unterstützt.

Edwin: Dann wünsche ich dir jetzt noch ein paar schöne Tage in Jerewan, Erewan, Eriwan – da gibt es ja auch verschiedene Schreibweisen und von dieser Stadt. Eine wunderschöne Stadt und freue mich, dich dann nächste Woche in Stuttgart zu sehen!

Ira: Ja, ich freue mich auch drauf und ich freue mich drauf, jetzt meine Kolleginnen zu treffen, die auch hier mit mir sind und wir werden jetzt georgisch essen gehen. Es gibt Chinkali wir haben alle so Bock auf Chinkali irgendwie gerade. Es gibt Chinkali und es gibt georgischen Wein.

Edwin: in Armenien? Sehr schön.

Ira: Wir tun was für die Völkerverständigung. Na gut, bis ganz bald. Mach's gut, Poka!

Edwin: Poka!