Russlanddeutsche Identität
So wie sich die Bayern von den Ostfriesen unterscheiden und die Schotten von den Engländern, so unterschieden sich auch die Russlanddeutschen: „Die“ Russlanddeutschen gab es nicht, Russlanddeutsche waren zu keiner Zeit eine homogene Gruppe.
Die zahlenmäßig größte Gruppe unter den Russlanddeutschen war die bäuerliche Bevölkerung, die in russlanddeutsch geprägten Orten wohnte. Aber auch in dieser Gruppe gab es Unterschiede. Zum Beispiel gab es unterschiedliche Dialekte, unterschiedliche Konfessionen und natürlich lebten die Menschen an unterschiedlichen Stellen des riesigen russischen Reiches, was ihre jeweilige kulturelle Entwicklung individuell prägte. Eigene Traditionen und eine jeweils eigene Kultur entwickelte sich in der Familie, vor allem aber auch in sozialen Institutionen wie in Schulen und Kirchen, durch Zeitungen und Zeitschriften und in den Dorfgemeinschaften mit ihrer Struktur der Selbstverwaltung.
Die Deutschen, die in den Städten lebten, waren früh vollständig integriert und hatten die russische Kultur angenommen. Schon in frühen Jahrhunderten wurden sie deshalb als „russische Deutsche“ bezeichnet, wobei „russisch“ im Sinne von russifiziert gemeint war.
Die Identität der Russlanddeutschen, wie auch ihre Kultur, waren mobil und sind es auch noch heute. Zogen die Russlanddeutschen an einen anderen Ort - was im Laufe ihrer Geschichte oft vorkam-, nahmen sie ihre Kultur mit. Aber natürlich lebten die Russlanddeutschen nicht völlig abgeschlossen. Äußere Einflüsse prägten sowohl die Kultur als auch das Selbstverständnis. Solchen Einfluss übten z. B. die Kultur(en) der Nachbarn aus als auch wirtschaftliche oder politische Faktoren.
Ein Beispiel: Bis 1941 konnten über 75% der Russlanddeutschen deutsch sprechen. 1959 bis 1989 schrumpfte diese Zahl dramatisch bis auf auf 48,7%. Deutsch zu sprechen gehörte nicht mehr zum kulturellen Selbstverständnis der Russlanddeutschen - und damit schwand auch ein Teil der russlanddeutschen Identität.