Kirche, Religion und Religiosität
von Kornelius Ens,
MA. MA.
Geschichte, Religiöse Identität und Integration
Die überwiegende Mehrheit der Russlanddeutschen hat ein lutherisches oder katholisches Bekenntnis, partizipiert allerdings kaum am Angebot der Kirchen. Ein Teil der religiösen Russlanddeutschen hat in der Bundesrepublik Deutschland Freikirchen gegründet. Deren Gottesdienste finden wiederum großen Zuspruch. Welchen Stellenwert hat Kirche heute für Russlanddeutsche? Wieso gründen Russlanddeutsche eigene religiöse Gemeinden in Deutschland?
INWIEFERN WAR DAS KONFESSIONELLE BEKENNTNIS VON RUSSLANDDEUTSCHEN EIN MOTIV FÜR DIE AUSWANDERUNG NACH RUSSLAND?
WELCHEN STELLENWERT HAT KIRCHE HEUTE FÜR RUSSLANDDEUTSCHE?
Etwa zwei Drittel aller 2,4 Millionen in Deutschland lebenden Russlanddeutschen gehören aktuell den protestantischen Kirchen an.[7] Weitere 20 Prozent sind Mitglieder der katholischen und etwa 7 Prozent der russisch-orthodoxen Kirche.[8] Freikirchen, welche auf eine Gemeindegründung Russlanddeutscher zurückzuführen sind, zählen etwa 100.000 Mitglieder.[9] Damit sind Freikirchen mit russlanddeutschen Gründungsstrukturen die größten in Deutschland. Aufgrund der konfessionsbedingten Ansicht, dass religiöser Mündigkeit ein hoher Stellenwert beigemessen werden sollte, findet in diesen Kirchengemeinden die Taufe – und damit die offizielle Aufnahme in die Gemeinde – im Regelfall frühestens im Jugendalter statt. Gegenläufig zu den allgemeinen Säkularisierungstendenzen, insbesondere innerhalb der Großkirchen [10], ist der sonntägliche Gottesdienst dieser freien Gemeinden, die zumeist einen mennonitischen oder baptistischen Frömmigkeitseinschlag haben, gut besucht.[11]
WIESO GRÜNDEN RUSSLANDDEUTSCHE EIGENE RELIGIÖSE GEMEINDEN IN DEUTSCHLAND?
BEFÖRDERT ODER BEHINDERT KIRCHLICHE GEMEINSCHAFT IN FREIKIRCHEN DIE INTEGRATION VON RUSSLANDDEUTSCHEN?
Dieser Artikel ist Teil des Kurzdossiers Russlanddeutsche der Bundeszentrale für politische Bildung. Hier geht's zum Link.
Fußnoten
- Vgl. neuere historische Überblicksdarstellungen: Dalos, György: Geschichte der Russlanddeutschen. Von Katharina der Großen bis zur Gegenwart, 2. Aufl., München 2015; Krieger, Viktor: Kolonisten, Sowjetdeutsche, Aussiedler: eine Geschichte der Russlanddeutschen, Bonn 2015.
- Vgl. Bohn, Thomas M. u.a.: Studienhandbuch Östliches Europa, Bd. 2: Geschichte des Russischen Reiches und der Sowjetunion, Köln u.a. 2009, S. 375.
- Vgl. Weiß, Lothar: Migration und Siedlung der Russlanddeutschen vom Mittelalter bis zum Ende der Sowjetunion, in: ebd. (Hg.): Russlanddeutsche Migration und evangelische Kirchen, Göttingen 2013, S. 13–15.
- Vgl. ebd., S. 24.
- Löwen, Heinrich: Russlanddeutsche Christen in Deutschland. Das religiöse Erscheinungsbild russlanddeutscher Freikirchen in Deutschland, Hamburg 2014, S. 17.
- Vgl. Löwen, Heinrich: Deutsche Christen in Russland und in der Sowjetunion. Grundzüge des historischen und theologischen Hintergrunds russlanddeutscher Freikirchen, Hamburg 2014, S. 38-39.
- Theis, Stefanie: Religiosität von Russlanddeutschen, Stuttgart 2006, S. 13.
- Zu den Zahlenverhältnissen hinsichtlich der Konfession der Einwanderer und Einwanderinnen im Jahr 2005 siehe auch Löwen: Russlanddeutsche Christen in Deutschland, S. 18.
- Elwert, Frederik: Religion als Ressource und Restriktion im Integrationsprozess. Eine Fallstudie zu Biographien freikirchlicher Russlanddeutscher, Wiesbaden 2015, S. 23.
- Vgl. Gaßmann, Walter: Russlanddeutsche Kirchen und Gemeinden: Lutheraner, in: Weiß: Russlanddeutsche Migration, S. 88-89.
- Vgl. Löwen: Russlanddeutsche Christen in Deutschland, S. 18-19.
- Theis: Religiosität von Russlanddeutschen, S. 239.
- Vgl. Gaßmann: Russlanddeutsche Kirchen und Gemeinden, S. 88.
- Theis: Religiosität von Russlanddeutschen, S. 21-22.
- Dümling, Bianca: Migrationskirchen in Deutschland. Orte der Integration, Frankfurt a.M., S. 3.
- Elwert: Religion als Ressource, S. 300.
- "Dies betrifft eine Reihe von Einrichtungen, von evangelikalen Jugendwerken über Bibelschulen bis hin zu theologischen Akademien. Diese Institutionen sind, anders als die Aussiedlergemeinden, keine Migranteninstitutionen. […] So erhalten junge Aussiedler hier nicht nur theologische Deutungsschemata, die sie ermächtigen, sich kritisch mit religiösen Positionen ihrer Gemeinden auseinanderzusetzen. Die hierüber vermittelten Kontakte begünstigen auch die Entwicklung einer neuen Identität, die eine religiöse Verortung als 'Christ' über ethnische Bezüge und Traditionsbestände der Russlanddeutschen stellt. In diesem Sinne kann Religion hier als ein Element der postethnischen Vergemeinschaftung von Migranten bezeichnet werden." (Elwert: Religion als Ressource, S. 310-311).
- Beispielhaft seien hier Engagements aus dem Raum Ostwestfalen-Lippe erwähnt, die allesamt aus Initiativen Russlanddeutscher mit überwiegend migrationskirchlicher Sozialisation hervorgingen und teilweise mit Integrationspreisen ausgezeichnet wurden: Christliches Sozialwerk OWL (e.V.), Privates Musikzentrum Detmold (e.V.), Christlicher Sportverein Lippe (e.V.), Christlicher Schulförderverein Lippe (e.V.).
- Elwert: Religion als Ressource, S. 313.