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Die Podiumsgäste diskutieren über gegenwärtige Fremd- und Selbstwahrnehmungen Russlanddeutscher. Von links: Hans-Christian Peterson, Edwin Warkentin, Nino Aivazishvili-Gehne, Dmytro Myeshkov und Tamina Kutscher

#Constructing Identity – Fremd- & Selbstwahrnehmungen Russlanddeutscher

08. August 2023

Wie werden Russlanddeutsche wahrgenommen? Wie nehmen sie sich selbst wahr? Wie hilfreich ist der Begriff „Russlanddeutsch“ in den gesellschaftlichen Diskussionen? Diesen Fragen ging die Tagung „#Constructing Identity. Selbstbeschreibungen und Fremdwahrnehmungen Russlanddeutscher‘“ am Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte in Detmold nach. 

Wer sind die Russlanddeutschen angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine?

Diese Frage beschäftigt die deutsche Gesellschaft seit dem Kriegsbeginn am 24. Februar 2022. Die Gruppe der Russlanddeutschen erfuhr eine Aufmerksamkeit, wie seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht mehr. Dabei sind die Russlanddeutschen seit dem Krieg mit vielen Unterstellungen konfrontiert. Unterscheiden sie sich aber so stark von der Mehrheitsgesellschaft? Der Kulturreferent für Russlanddeutsche Edwin Warkentin weist auf erste Befragungen wie die des Meinungsforschungsinstituts dimap hin. Das Institut befragte die Russischsprachigen in Deutschland, wozu unter anderem ein größerer Teil der Russlanddeutschen zählt. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Befragten zwar emotional betroffener sind, aber eher der Einstellung der Mehrheitsgesellschaft entsprechen. 

Wie hilfreich ist aber der Begriff Russlanddeutscher in der gesamten Debatte? Der Gastprofessor für Migration und Integration der Russlanddeutschen Hans-Christian Peterson merkte an, dass viele Außenstehende denken, dass alle Russlanddeutschen aus Russland kommen. Deshalb muss in Gesprächen immer betont werden, dass das „Russland“ in „Russlanddeutsche“ das russische Kaiserreich meint, nicht das heutige Russland. Aus diesem Grund ist der Begriff nach Peterson sehr schwierig vermittelbar. 

Dem Gefühl einer doppelten Fremdheit – nach der Einwanderung in Deutschland der Russe, vor der Auswanderung der Deutsche – stellt die Kulturanthropologin Nino Aivazishvili-Gehne die Formulierung der „doppelten Vertrautheit“ entgegen. Dieses gesammelte „Gepäck“ der Russlanddeutschen ist ein Mehr, kein Weniger. Mehr an Wissen, Sprachen, Erfahrungen und kulturellem Gespür. Diese Perspektive ist eine Chance, sich selbst und andere neu wahrzunehmen.  

Welche Selbst- und Fremdbezeichnungen sind seit der Einwanderung der Deutschen ins russische Reich zu verzeichnen?

Nicht nur in den Debatten um den russischen Angriffskrieg wird um Selbst- und Fremdbezeichnungen gerungen. Der Historiker Viktor Krieger sprach in seinem Vortrag über die wandelnden Selbst- und Fremdbezeichnungen Russlanddeutscher seit der Einwanderung bis in die Gegenwart. Krieger beobachtet, dass Selbstbezeichnungen wie (Wolga-)Kolonisten, Wolgadeutsche oder Mennoniten ein Spiegelbild der Identität darstellen. Problematisiert wurde im Vortrag sowie im Nachgespräch der Begriff „Russlanddeutsche“. Einige Konferenzteilnehmer sowie Referenten kritisierten den Begriff, da er aus dem völkischen Kontext während der NS-Zeit entstamme und deshalb belastet sei. Krieger wies jedoch nach, dass die Entstehungsgeschichte noch nicht endgültig erforscht worden ist. Er zeigte auf, dass der Begriff dort nicht zwangsläufig zu verorten ist. Nichtsdestotrotz ist diese Bezeichnung erklärungsbedürftig, da die „Russlanddeutschen“ größtenteils vor oder während des Zerfalls der Sowjetunion auswanderten und eine gemeinsame Geschichte mit dem gegenwärtigen Russland nicht teilen. 

Die Veranstaltung wurde vom Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (BKGE), dem Research Center for the History of Transformations (RECET), dem Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) sowie dem Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte organisiert.