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Von P wie Pelznickel bis P wie Plow. Weihnachten und Esskultur bei Russlanddeutschen

In der Sowjetunion wurde Weihnachten als christliches Fest von weltlichen Traditionen verdrängt. Viel Wissen ging verloren, einiges konnten sich die Russlanddeutschen bewahren. Insbesondere wenn es ums Festtagsessen ging. Über das Besondere in der vielfältigen Kulinarik der AussiedlerInnen sprechen wir in dieser Folge mit der Foodbloggerin und Kochbuchautorin Ana Romas.

Hier können Sie sich diese Folge anhören

Edwin: Unsere heutige Sendung wollten wir Weihnachten und dem Essen an Weihnachten widmen.

Ira: Das passt doch perfekt zusammen. Ich meine, was macht man an Weihnachten sonst? Die Kinder kriegen die Geschenke und wir schlagen uns die Bäuche voll.

Edwin: Einmal im Jahr darf man das ja. Und weißt du was? Ich habe mir was Besonderes angeschafft. Das hat was mit Essen zu tun. Ich habe mir jetzt einen langhegten Traum erfüllt, und zwar habe ich mir einen Outdoor-Kazan besorgt. Weißt du, was das ist?

Ira: Ja, jetzt weiß ich, was du meinst. Du hast mir auch ein Foto geschickt. Das sieht aus wie ein riesiger Wok und darin macht man auch ein ganz besonderes Gericht.

Edwin: Und zwar den original usbekischen Plow. Über Monate habe ich mir Tiktok-Videos angeguckt, von Typen, die draußen im Garten selbst Plow auf die echte usbekische Art zubereiten und nicht irgendwie am Herd, in irgendeiner Wok-Pfanne, sondern echt richtig. Und ich habe festgestellt, dass man diese Teile ja einfach kaufen kann und die kosten auch nicht viel. Und als Abwechslung zum schnöden Grillen habe ich gedacht, dass man doch auch mal sowas machen könnte. Ich habe das probiert und gleich beim ersten Mal, hat es so geschmeckt, wie in Usbekistan. Ich war mal vor 10 Jahren in Usbekistan und durfte einen echten probieren. Es hat genauso geschmeckt. Da hat einfach der echte Rauch gefehlt.

Ira: Für Leute, die Plow nicht kennen, was kommt denn da alles rein?

Edwin: Nicht viel. Eigentlich kommen da Reis, Fleisch – meistens Rind oder Lamm – und Karotten, Zwiebeln und so ein paar Geheimgewürze, also Kreuzkümmel zum Beispiel, rein.

Ira: Und gibt es jetzt bei euch Plow auch zu Weihnachten oder was wird es bei euch geben?

Edwin: Zu Weihnachten nicht, aber zu Sylvester. Ich werde meine Freunde damit überraschen. Was gibt es denn bei dir zu Weihnachten?

Ira: Um ehrlich zu sein, habe ich noch keinen Plan gemacht. Fisch und wahrscheinlich irgendwas mit Gemüse. Die Kinder kriegen immer eine Extraportion, weil sie weder Fisch noch Gemüse toll finden, aber es wird auf jeden Fall irgendwas leckeres geben. Aber es gibt jetzt kein bestimmtes Weihnachtsessen. Gab es in meiner Familie jetzt auch nicht unbedingt. Aber darüber wie wir Weihnachten zuhause, also in Kasachstan gefeiert haben, können wir jetzt mal sprechen und wie die Generationen unserer Eltern und Großeltern Weihnachten in der Sowjetunion verbracht haben. Welche Gerichte es da gab und vielleicht auch Traditionen. Was gibt es denn bei euch traditionell zu Weihnachten.

Edwin: Ich würde mal sagen, nichts Besonderes. Nichts, was außerordentlich ist. Aber ich weigere mich, an Weihnachten Kartoffelsalat mit Würstchen zuzubereiten. Ich koche ja gerne, das weißt du ja. Und ich bin dann dieser aufwendige Typ. Ich mache dann richtig die Gans im Ofen, mit Knödeln und mit Blaukraut. Insofern traditionell wahrscheinlich so im herkömmlichen Sinne. Gutbürgerliche Küche an Weihnachten. In der Sowjetunion früher gab es bestimmtes Gebäck, was es dann bei uns an Weihnachten gab. Ich habe meine Kindheit ja noch in der Sowjetunion verbracht. Ich war neun als die Sowjetunion auseinander geflogen ist. Aber das war auch das Gebäck, was es zu anderen Festivitäten gab, oder einfach nur Sonntags. Den Riwwelkuche zum Beispiel. Kennst du den Riwwelkuche?

Ira: Riwwelkuchen kenne ich auch. Das ist ja so ein Hefeteig und da oben sind so Streusel drauf. Das hat meine Mutter auch regelmäßig gemacht. Macht sie bis heute. Das ist auch ein Gericht, dass es bei ihr zuhause an Weihnachten traditionell gab, als sie klein war. Sie ist in den 50er, 60ern in Kasachstan aufgewachsen und da gab es das an Weihnachten und kleines Hefegebäck, so groß wie Prjaniki, wie Plätzchen. Aber sie meint, sonst gab es kein besonderes Essen an Weinachten. Das war schon das Besondere. Man hatte ja keinen großen Luxus in den 50er, 60er Jahren in Kasachstan. Was haben denn deine Eltern so erzählt. Was gab es für Traditionen und für Gerichte an Weihnachten als sie klein waren?

Edwin: Tatsächlich ist es so, dass es relativ schwierig ist, über konkretes zu sprechen. Meine Eltern haben in den 1960er Jahren ihre Kindheit in der Sowjetunion verbracht. Und das war schon die Zeit als viele Traditionen verloren gegangen sind. Das ist die Nachkriegsgeneration und die sind verloren gegangen, weil Menschen sich zum Teil nicht getraut haben, nach dem christlichen Kalender Feiertage zu feiern. Was des Essen anging: Es war ja mehr oder weniger eine Aus-der-Hand-in-den-Mund-Wirtschaft. Man hat die Lebensmittel genutzt, die man im Garten gezüchtet hat. Es gab dann schon das eine oder andere Gericht, was in der Familie speziell war, aber nichts, wo ich sagen könnte, dass es das immer zu Weihnachten gab. In früheren Zeiten, also in der Vorkriegszeit, gab schon spezielle Sachen gab, die zu Weihnachten gemacht wurden. Ich habe dazu noch was vorbereitet, dass würde ich dir später noch vorlesen. Aber um einen Schritt nochmal zurück zu machen, was es bei in meiner Kindheit an Weihnachten gab, - vielleicht kennst du das auch – das waren diese Süßigkeiten, die man von der Westverwandtschaft bekommen hat. Da gab es Pakete, die man von den Tanten, die schon drüben waren, zugeschickt bekommen hat. Dann gab es halt irgendwie Haribos oder Schokonikoläuse und so. Das ist meine Kindheitserinnerung, was es besonderes zu Essen an Weihnachten gab.

Ira: Traditionen an Weihnachten, die gab es bei mir, als ich klein war, nicht so wirklich. Es war alles Rund um Neujahr ausgerichtet. Silvester – Nowyj God, da gab es bei uns im Schulgebäude immer eine große Feier. Da sind wir mit der Familie hin und dann gab es da verschiedene Spiele und die Kinder haben so einen Tanz aufgeführt. Geschenke gab es dabei aber nicht wirklich. So wurde Silvester dann gefeiert. Das ist diese Verschiebung von den religiösen Sachen, die in der Sowjetunion ja verboten waren, hin zu Neujahr. Ein Fest, dass für alle Ethnien innerhalb der Sowjetunion als Ersatz dienen konnte.

Edwin: Wenn du mich fragen würdest, wie Weihnachten für mich in Erinnerung geblieben ist. Für mich verschiebt sich das alles in meiner Erinnerung. Das fing Heiligabend oder Nikolaus an und es reichte bis in das „Alte Neue Jahr“, was ja Mitte Januar ist und da gab es immer irgendwelche Anlässe. Es gab Vorweihnachten oder Vorneujahr, diese sogenannten Utriniki. Offiziell organisierte Silvester-Weihnachtsfeiern für den Kindergarten, die Gewerkschaft oder die Belegschaft einer Fabrik. Das war dann auch so etwas wie eine Faschingsfeier. Man ist verkleidet dahingegangen. Es war eine Mischung aus Silvester, Weihnachten und Fasching. Weihnachten, weil der Weihnachtsmann da war, der Ded Moroz. Fasching, weil alle verkleidet gekommen sind und Neujahr, weil man sowas wie Neujahr gefeiert hat. Bei mir in der Familie war das aber so. Ich habe ja schonmal erzählt, dass meine Eltern Schauspieler in dem Deutschen Theater in Kasachstan waren. Für diese Theater war seit den 1980er Jahren die Wiederbelebung bestimmter Traditionen und Kultur wichtig. Die haben versucht, das den Deutschen in der Sowjetunion aktiv vorzuleben, wie man Weihnachten gefeiert hat. Das hatte man auch bei mir in der Familie irgendwann eingeführt. Seit Mitte der 80er Jahre gab es dann zum Beispiel, dass der Nikolaus – ein verkleideter Kollege meiner Eltern, zum Teil auch mein Vater – unten auf der Straße entlang der Häuser gelaufen ist, mit dem Sack mit den Geschenken. Alle durften dann rausgucken und sich auf den Weihnachtsmann freuen, der dann an Heiligabend gekommen ist. Dann kam auch an Heiligabend der Weihnachtsmann zu uns. Und nicht nur der Weihnachtsmann, sondern er hatte ja noch Kollegen, die er dabei hatte.

Weihnachten auf der Bühne des Deutschen Theaters Temirtau, 1989. Copyright: MrK

Ira: Und wer war das?

Edwin: Das war das Christkind und Pelznickel. Das war dann quasi Knecht Ruprecht. Nur bei den Wolgadeutschen hieß er Pelznickel. Das war dann derjenige, der den Kindern auch Respekt eingeflößt hat. Man hatte Angst vor dem Pelznickel. Es war der Strafende.

Ira: Bei uns hieß er Pelzebock. Nicht in meiner Kindheit, aber in der Kindheit meiner Mutter. Sie hat mir erzählt, dass sie, als sie klein war, zu Andachten an Heiligabend gegangen sind. Die waren ja verboten und es gab bei jemanden zuhause im Wohnzimmer einen Gottesdienst. Nach der Andacht sind sie nach Hause zurückkehret und dann kam der Pelzebock. Das war jemand, der so rußverschmiert war, eine Kette oder eine Rute dabei hatte und er fragten dann furchteinflößend, ob die Kinder denn alle brav waren. Und dann mussten sie Gedichte aufsagen. Wenn sie brav gewesen sind, dann haben sie eine Belohnung bekommen und das waren meist dieses Hefegebäck oder vielleicht gab es auch mal ein paar Nüsse oder mal einen Apfel, aber das war dann schon eher eine Seltenheit oder sonst Süßigkeiten. Und so sah das Weihnachtsfest bei ihnen aus. Der Pelzebock. Ähnliches Konzept wie bei euch auch mit dem Pelznickel.

Edwin: ich war ja 14 als wir ausgesiedelt sind und im letzten Jahr als wir noch drüben waren, durfte ich selbst Pelznickel sein. Ich habe die Seiten gewechselt und dann durfte ich den kleinen Kindern ein bisschen Angst einjagen, mit der Kette rasseln.

Ira: Habt ihr die Tradition mit nach Deutschland genommen? Gibt den bei euch auch in der Familie?

Edwin: Wir hatten das am Anfang gehabt. Irgendwann dann nicht mehr als wir als Geschwister dann schon groß waren. Das hatte dann keinen Zweck mehr gehabt so Angst einzuflößen. Auch der Glaube an den Nikolaus geht ja irgendwann verloren. Mit der neuen Generation haben wir das natürlich wiederbelebt, aber eigentlich nur als Weihnachtsmann. Einen Pelznickel gibt es nicht und das Christkindl auch nicht. Kommt bei dir jemand verkleidet?

Ira: Ja, die Folge darf unsere Tochter natürlich nicht hören. Sie hört auch in der Regel unseren Podcast nicht. Es kommt das Christkind, der Weihnachtsmann. Ich weiß nicht, wer dieses Jahr kommen soll, aber mittlerweile ist sie einfach zu groß und checkt, dass der Weihnachtsmann immer einem Verwandten komischerweise ähnlich sieht und wir haben uns jetzt darauf geeinigt, dass es im Wohnzimmer, wo der Weihnachtsbaum steht, klingeln wird. Dann war das Christkind da, aber wir haben es nicht gesehen. Die Geschenke sind aber da. Das ist das Konzept. Mal gucken, wie lange wir das noch durchziehen können. Keine Ahnung, wann man als Kind aufhört, an den Weihnachtsmann zu glauben. Wann hast du aufgehört? Ich kann mich nicht dran erinnern.

Edwin: Als ich verstanden habe, dass es mein Vater oder ein Kollege von meinem Vater war, der verkleidet war.

Ira: Wie alt warst du da?

Edwin: Acht.

Ira: Ich habe gerade 18 verstanden. Übrigens noch was zum Essen: In der Sowjetunion, an Neujahr, da gab es halt diese traditionellen sowjetischen Gerichte. Verschiedene Salate: Vinigret oder Salat pod Schuboj mit Hering, Mayonnaise und Kartoffeln und so. Als wir nach Deutschland gekommen sind, 1992, da war ich neun und dann anfingen, hier Weihnachten zu feiern, da war es mir als Kind ganz wichtig, dass es so „typisch“ deutsche Gerichte an Heiligabend gibt. Gans und Knödel. Und bis heute gibt es das tatsächlich bei meiner Familie. Wenn wir zusammen Weihnachten feiern, dann gibt es nicht nur das, sondern noch 20 andere Gerichte, weil meine Mutter eine Mutter aus Kasachstan ist und immer völlig übertreibt. Aber mir war es irgendwie total wichtig, dann ganz superdeutsch zu sein als wir herkamen. Hattest du auch das Gefühl, dass du dich in der Art anpassen musst, auch was das Essen angeht?

Edwin: Nein, ich hatte keine Wahl. Die ersten zehn Jahre lebte meine Großmutter bei uns und die Großmutter hatte meistens dafür gesorgt, dass wir Essen auf dem Tisch hatten. Und meine Großmutter hat dann so gekocht wie sie es vor 60 Jahren gelernt hatte. Insofern gab es bei uns am Sonntag schon relativ häufig Strudel mit Kraut oder Braten / Brode, oder Kartoffel mit Kleeß – wolgadeutsche Gerichte. Das gab es bei uns immer. Aber wegen der Anpassung: Klar, natürlich haben wir auch versucht, das zu machen. Ich glaube, mittlerweile ist man da angekommen, dass man eher neutral ist. Eine globale Küche bei uns auch in der Familie. Ich versuche, das dann doch aufrecht zu erhalten. Ich will, dass meine Kinder auch wissen, was Strudel ist. Ich will, dass meine Kinder wissen, was Plow ist. Ich will, dass sie diesen Geschmack auch kennen. Man setzt sich im Rahmen der Ethnologie auch mit Essgewohnheiten von bestimmten Gruppen und Nationalitäten auseinander. Man sagt, dass bei migrierten Gruppen, also bei der Migration, die Essgewohnheiten am längsten bestehen bleiben. Man verliert sogar früher seine Muttersprache als die Essgewohnheiten und das ist das, was Menschen Identität gibt, oder ein bestimmtes Zusammenhaltsgefühl in einer Gemeinschaft. Angefangen natürlich mit der Familie, aber dann auch übergreifend. Die Großfamilie oder die früheren Nachbarn oder auch eben, wie es bei den Russlanddeutschen ist, diese ganzen Menschen, diese paar Millionen Menschen, die mehr oder weniger ähnliche Essgewohnheiten haben.

Ira: Und interessanterweise hast du zwei Gerichte als Beispiel gewählt. Das eine war Strudel, das ist eher so ein russlanddeutsches Gericht – ich kenne das auch aus meiner Familie – und das andere ist Plow, ein Reis-Fleisch-Gericht aus Usbekistan. Und das Interessante ist, an unserer Biographie und Speisenauswahl sieht man, dass sich der Geschmack und die daran angeknüpfte Identität möglicherweise auch verändern. Man passt sich ja immer der Umgebung auch an. Und unsere Geschmäcker haben sich auch verändern in der Deportation in Kasachstan. Oder Leute, die dann in Usbekistan waren und grundsätzlich in der Sowjetunion, wo ja eh so viele verschiedene Ethnien gelebt haben, dass man – bildlich – alle verschiedenen Gerichte auf den Tisch gestellt hat und das war denn eben sowjetisch und hat als Kulturgut jedem gehört.

Edwin: Definitiv. Für mich gibt es ungefähr fünf Dimensionen, wenn wir über das Essen bei den Russlanddeutschen sprechen. Das eine sind die althergebrachten russlanddeutschen Gerichte. Die gibt es in den jeweiligen Gruppen. Da gibt es auch Unterschiede, bei den Wolgadeutschen oder vielleicht auch bei den Wolhyniendeutschen, oder den plattdeutschen Mennoniten. Bei den Mennoniten gibt es zum Beispiele sowas wie Bobat, das ist ein Fleischkuchen oder Tweuback, dieses typische Gebäck. Dann gibt es Gerichte, die über Kulturtransfer übernommen und dann verdeutscht wurden. Zum Beispiel sowas wie Krautsup bei den Wolgadeutschen, das ist Borschtsch oder Pranjetes bei den Mennoniten, das sind die russischen Prjaniki oder Pluschke bei den Wolgadeutschen, das sind die russischen Pluschki oder Piroggen. Dann gibt es eine Reihe sowjetischer Essgewohnheiten. Das sind zum Beispiel frühere Elitegerichte aus der Zarenzeit wie Salat Olivier oder Seljodka pod Schuboj, dieser Heringssalat, der sehr aufwendig ist. Oder verschiedene Schichttorten oder Kyjiwer Kotelett. Kennst du Kyjiwer Kotelett? So ein Cordon-Bleu, so was ähnliches.

Ira: Das habe ich tatsächlich das erste Mal auch in Kyjiw gegessen.

Edwin: Und dann gibt es sowas, was die Großeltern oder Eltern aus der Zeit kannten, wo sie in Kantinen gegessen haben. Zum Beispiel Buchweizengrütze oder irgendwelche Koteletts, also Buletten. Oder Gulasch mit Nudeln. Das sind so Sachen, die sie mit ihrer Arbeitswelt von früher verbinden. Dann gibt es natürlich auch das, was du gerade angesprochen hast. Die Sachen, die in der Deportation dazugekommen sind. Meistens sind das zentralasiatischen oder nomadischen Gerichte. Zu Plow kommt dann auf jeden Fall noch Beschbarmak dazu, dieses kasachische Gericht. Und ich behaupte, dass es jetzt noch eine neue Dimension gibt, nämlich postsowjetische aussiedlerische Essgewohnheiten. Einerseits ein gewisses Crossover von diesen ganzen zentralasiatischen, sowjetischen, russischen oder auch den russlanddeutschen Gerichten und der Konsum von halbfabrizierten Produkten; postsowjetischen Nahrungsmitteln. Was ich damit meine? Bei mir gibt es im Kühlschrank nie Tiefkühlpizzen für den Notfall. Sondern bei mir gibt es immer zwei Päckchen Pelmeni aus dem Supermarkt. Wenn es schnell gehen muss, dann habe ich in 5 – 10 Minuten immer ein Essen parat. Das sind aus meiner Sicht diese fünf Dimensionen, die russlanddeutsches oder aussiedlerisches Essen in unserem Kontext ausmachen.

Ira: Und bevor wir es vergessen: Strudel. Das ist Hefeteig und der wird dann so eingerollt und gedämpft über Kraut mit oder ohne Fleisch, je nach dem, und das ist auch relativ aufwendig. Ich wünsche mir das ab und an von meiner Mama und ich liebe dieses Gericht. Diese Strudel sind dann so schön warm und weich und schmecken einfach wie Kindheit.

Edwin: Die sind nicht süß. Das sind keine süßen Strudel. Das ist sowas wie Knödel. Also gewickelte Knödel.

Ira: Vielleicht ein typisches Gericht aus Wolhynien. Meine Familie kommt ja beidseitig aus Wolhynien. Das ist eine Region im Westen der heutigen Ukraine und da gab es ganz viel Obst und das hat man getrocknet und im Winter dann eben verbraucht und man hat sich eine Suppe daraus gemacht, und zwar eine Milchsuppe mit getrocknetem Obst. Schmeckt geht so, aber das ist etwas, das tatsächlich, glaube ich, aus Wolhynien kommt. Es sei denn, irgendjemand da draußen hört das und sagt, dass das aber aus der Südukraine oder dem Schwarzmeerraum kommt, dann schreibt uns unbedingt. Dann haben wir auch was Neues dazugelernt. Lass uns noch auf einen geschichtlichen Aspekt eingehen, bevor wir nämlich gleich auch einen Gast in dieser Folge haben. Warum durfte man denn in der Sowjetunion kein Weihnachten feiern?

Edwin: Weil es in der Sowjetunion grundsätzlich eine antireligiöse Politik gab. Ab Mitte der 1920er Jahre wurden Kirchen in der Sowjetunion verfolgt und die Menschen sollten vom Glauben abgebracht werden. In der sowjetisch-sozialistischen Ideologie hieß es ja, dass Glauben Opium fürs Volk ist und die sowjetische Ideologie sollte dieses Opium ersetzen. Und viele Wissensträger, oder auch viele Priester, Pfarrer und andere Kirchenmenschen, wurden in den 1930er Jahren umgebracht und die anderen Menschen hatten eben Angst ihre Religion auszuleben. Spätestens bis zu den Deportationen 1941 dann hatte man das noch im Familienkreis als ein weltlich-kirchliches Fest gefeiert. Aber nach der Deportation, mit dem Tod der Großelterngeneration, derjenigen, die das in der Zarenzeit noch ausgelebt haben, da ging es nach und nach in den Familien auch verloren. Einerseits aus Angst und andererseits, weil eben die Wissensträger nicht mehr da waren. In den 1980er Jahren wussten die wenigsten interessanterweise wie man Weihnachten gefeiert hat. Es ging so tief, dass die Menschen nicht mal wussten wie man Weihnachten feiert. Das ist schon heftig.

Ira: Ja, das ist total traurig. Deswegen weiß ich zum Beispiel überhaupt nicht, wie meine Familie in Wolhynien, wie meine Großeltern Weihnachten gefeiert haben. Dazu fehlt es einfach an Überlieferung. Aber du wolltest uns ja was vorlesen. Das passt zu der Zeit, die ich jetzt angesprochen habe. Also die 1920er - 1930er Jahre des vergangenen Jahrhunderts.

Edwin: Genau ich reiß es nur an. Vor 20 Jahren ist ein Buch erschienen. Das Buch heißt „Vater Abraham. Von der Ukraine über Sibirien und China nach Paraguay und Kanada“. Das ist eine mennonitisch-plattdeutsch-russlanddeutsche Familie, die eben nach Südamerika ausgewandert ist. Zufälligerweise war die Familie aus dem Geburtsdorf meines Vaters. Das Dorf, in dem ich sehr viele Sommer meiner Kindheit verbracht habe. Und die Zeitzeugin, eine Agatha Ratzlaff, die berichtet wie Weihnachten 1923 in diesem Dorf gefeiert wurde. Genau vor 100 Jahren. Es ist ein kurzer Bericht, aber ich werde nur einen Auszug daraus lesen. Sie schreibt: „Auch der Weihnachtsmann war bekannt. Er kam aber nicht zum Heiligabend. Man konnte sich ihn bestellen. Er kam dann in der Adventszeit abends und klopfte an die vereisten Fensterscheiben. Ein Schreck und eine Warnung für die Kinder, lieb und brav zu sein. Wurde er dann hineingebeten, kam er im langen, schweren Pelz, Filzstiefeln an den Füßen, Pelzhandschuhe an den Händen und auf dem Kopf hatte er seine lange rote Kwastermütze. Natürlich fehlte auch der Rucksack und der Stock nicht. Ihm mussten die Kinder ihre Gedichte und Wünsche vortragen, wofür es dann immer eine kleine Belohnung gab. Waren die Kinder faul und verzogen gewesen, wurde der Stock aus dem Sack gezogen. Am Heiligabend, der in einem Privathaus stattfand, weil in der Schule christliche Veranstaltungen verboten waren, durfte niemand fehlen. Die Kleinen in Pelzdecken gehüllt, die Größeren in Pelzen, so fuhr die ganze Familie zum Weihnachtsabend. Hier prangte ein großer Tannenbaum. Für heutige Verhältnisse arm geschmückt, für uns Kinder aber ein Vorgeschmack des Himmels. Und wurden dann noch während die Kinder das Lied sangen „Am Weihnachtsbaum die Lichter brennen“, ein Dutzend und mehr Wachskerzen angezündet, strahlte nicht nur der Weihnachtsbaum.“ Und so weiter. Ein sehr interessanter, bewegender Bericht, aus einer Zeit, die längst vergessen schien, weil ich dieses Dorf kenne und ich weiß, dass dieses Wissen um Weihnachten und dieses kirchliche Feiern von Weihnachten weitestgehend verloren war in den Familien.

Ana Rumas, Copyright Charlene Engelberg

Ira: Vielen Dank! Das war ein spannender Ausschnitt. Und jetzt freuen wir uns riesig auf Ana Romas, die sich jetzt über Zoom zugeschaltet hat und unsere heutige Gästin ist. Sie kommt auch aus Kasachstan. Mit 11 Jahren ist sie nach Deutschland gezogen und hat dann als Produktmanagerin gearbeitet und vor einigen Jahren hat sie angefangen ihre Leidenschaft fürs Kochen auf Instagram zu teilen, auf ihrem Account „Russisch Raclette“, der dann aber ziemlich schnell gewachsen ist. Und mittlerweile macht sie das hauptberuflich. Sie zeigt, wie sie bestimmte Gerichte kocht und vor allem kocht sie die Wunschgerichte ihrer Followerinnen und Follower nach und schneidet das Ganze dann in kurzen Videos zusammen und teilt sie bei Instagram. Dieses Jahr hast du sogar ein Kochbuch herausgebracht. Wie heißt es denn?

Ana Romas: Mein Buch heißt „Anushka“. Eingedeutscht ein bisschen nach mir. Ich heiße eigentlich nicht Ana, sondern Anastasia, aber das war hier bei der Übersiedlung so ein bisschen einfacher, das als Ana abzukürzen, weil Nastja einfach für die deutschsprachigen, oder auch anderssprachige Menschen, schwieriger auszusprechen ist und auch die Abkürzungsformel im Westen ja anders ist. Deswegen sind wir irgendwie bei Ana geblieben und dann wollten wir es aber nochmal verniedlichen, weil ich ja immer so babuschkamäßig auch so alte Rezepte versuche nach zu kochen, und vor allem so weit wie es geht im Original zu machen. Das ist natürlich nicht immer möglich, was die Zutaten angeht oder natürlich, weil ich kein Fleisch esse und das dann nie original sein kann, wenn es natürlich ein Fleischgericht ist. Ja, so ist es zu Anuschka gekommen.

Ira: Gerade die sowjetische Küche ist ja voll mit Fleischgerichten. Da musst du richtig kreativ sein.

Ana Romas: Ja, so ein bisschen ein Trugschluss. Das habe ich auch in meinem Buch behandelt, weil diese Fleischlastigkeit kam so ein bisschen mit dieser postkriegs-convenience-Küche, weil man dann weniger zuhause gekocht hat, mehr auf der Arbeit in der Kantine gegessen hat und dann natürlich auch mehr Industrialisierung im Lebensmittelbereich kam und auch mehr Vieh gezüchtet wurde. Weg vom Selbstversorgertum, was man auf dem Dorf ja immer noch gemacht hat. Wenn man aber noch ein bisschen tiefer reingeht, ist eigentlich die Küche aus Prä- oder Postsowjetländern super veggie, weil eigentlich in der Orthodoxen Kirche zwei Drittel des Jahres irgendwie gefastet wurde und dann findet man alles entweder mit Fisch oder ganz vegetarisch.

Edwin: Auch von mir „Hallo“ Ana! Ich habe mir deinen Instagram-Account angeguckt und ich habe das zu einer falschen Zeit gemacht, weil ich Hunger hatte und mir ging es dann ganz schlecht dabei. Ich mag auch sehr gerne gut essen und ich koche auch selbst gerne und es hat mich auch sehr inspiriert, das eine oder andere auch auszuprobieren. Großer Respekt! Wirklich tolle Arbeit. Ich kann bestätigen, was du gerade sagst. Es war in der späten Zarenzeit in Russland sogar unter der Elite verbreitet, vegetarisch zu sein. Ich weiß, dass der Schriftsteller Leo Tolstoj selbst überzeugter Vegetarier war und viele Menschen haben ihm das eben nachgemacht und es gab auch vegetarische Restaurants. Es galt aber dann nach der Oktoberrevolution als bourgeois. Was ich aber auch unterstreichen möchte, was du gesagt hast, ist diese Subsistenzwirtschaft. Die Menschen haben von relativ wenig gelebt und Fleisch war eben Luxus. Fleisch gab es nur zu großen Feiertagen, oder nur am Sonntag. Selbst das kenne ich noch von meinen Großeltern. Fleisch gab es nur am Sonntag. Unter der Woche gab es Suppen. Einfach eine Bohnensuppe oder eine Krautsuppe oder sowas. Essen hat ja auch was mit Community, aber auch mit Emotionen und sehr viel auch mit Kindheit zu tun. Nach was schmeckt denn für dich Kindheit?

Ana Romas: Eine krass verbundene Erinnerung sind einfach so Feuerkartoffeln. Das habe ich auch schon ein paar Mal auf Instagram behandelt, weil, wenn ich diese Ofenkartoffel auf den Märkten sehe, riecht es direkt so, wie wenn man früher Kartoffeln geerntet hat. Dann hat man das ganze Grün auf dem Feld trocknen lassen und dann ein paar Tage später hat man die trockenen Kartoffeln auch eingesammelt, nämlich die Nassen aus der Erde direkt und immer abgeklopft. Dieses getrocknete Grün haben wir immer verbrannt und in der Glut haben wir dann die alten Kartoffeln aus dem Keller einfach reingeworfen und dann ein paar Stunden später rausgeholt, nachdem man das Feld aufgeräumt hat. Dann mit Salz oder Butter, wenn es die gab, gesnackt. Das ist für mich so ein Hyper-Kindheitslink. Mehr als irgendwas anderes wie Strudeli oder so. Klar, kennt man alles, aber irgendwie verbinde ich mittlerweile nicht mehr so Küche-Küche mit etwas, nicht mehr das Kochen an sich, sondern Erlebnisse. Es gibt ja so eine Theorie zur Erinnerung, dass man sich nicht an die Ereignisse erinnert, sondern an die letzte Erinnerung des Ereignisses. Und ich denke mir dann immer so, dass das vielleicht eine Fehllinkung ist, von Erinnerungsmechanismen, um nicht zu vergessen. Dass man das an Essen koppelt, weil das ja immer verfügbar sein könnte. Eine Kartoffel findest du immer und die kannst du immer ins Feuer schmeißen. So eine Erinnerung kannst du nicht immer hervorholen, deswegen funktioniert ja auch die Parfüm-Assoziierungssache. Das ist für mich so eine einfache Feuerkartoffel, die verbrannt riecht. Das ist direkt so: Wow, ich bin wieder sieben.

Ira: Ana, vielen Dank für diese Erinnerung, weil ich das tatsächlich auch mit meiner Kindheit verbinde, aber ich wäre jetzt gar nicht daraufgekommen, das zu antworten. Aber wir haben das auch immer im Herbst gemacht. Wir hatten auch so einen Kartoffelacker und wir Kinder durften da auch ein bisschen bei der Ernte mithelfen und dann haben wir die Kartoffeln – ebenso, wie du es beschrieben hast – verbrannt. Dann war es auch außen rum total schwarz. Krebserregend, eigentlich super ungesund. Das haben wir dann abgemacht und die Kartoffel, dieser Geschmack, das war einzigartig. Das verbinde ich auch mit meiner Kindheit. Bei dir auch, Edwin?

Edwin: Ich habe sogar eine konkrete Geschichte dazu. Ich war neun und es war irgendwann im Sommer oder im Herbst 1989/ 1990. Da sind wir nach Alma-Ata umgezogen, in das heutige Almaty. Wir wohnten am Stadtrand und irgendwo gab es ein Lebensmittel- oder Gemüsedepot und da fuhren immer LKW mit Ladungen. Wir hatten eine relativ schlechte Straße vor dem Haus und da sind die LKW immer so ein bisschen hochgehüpft und natürlich ist ein Sack Kartoffeln runtergefallen. Die Wahrheit werde ich euch nicht erzählen, aber ein Sack Kartoffeln ist vom LKW gefallen und meine Clique und ich haben dann den Sack im Keller von unserem Plattenbau versteckt. Dann haben wir ein halbes Jahr lang diese Kartoffeln im Feuer gebacken. Das war echt ein tolles Erlebnis. Das ist auch meine Kindheits- und Jugenderinnerung. Das ist Freiheit. Selbst zubereiten, selbst essen. Mit neun Jahre.

Ana Romas: Bei dir jetzt nicht, aber auch monatelang drauf warten und die einzelnen Löcher einsetzen, das war irgendwie – ich will nicht sagen erfüllender – aber man hat monatelang auf so ein kleines Ding hin gefiebert, um das dann einfach nur so abends mit Salz und Butter zu snacken. Das kann man, glaube ich, nicht mehr wiederholen.

Ira: Du bist ja heute Teil unserer Weihnachtsfolge und Edwin und ich haben jetzt schon im ersten Teil über die Gerichte gesprochen, die es bei uns in den Familien gibt. Also nicht nur an Weihnachten, sondern grundsätzlich. Welche typischen russlanddeutschen Gerichte kennst du denn aus deiner Familie. Ich weiß nicht, ob russlanddeutsch so passend ist. Sind das vielleicht eher so typisch sowjetisch Gerichte, die viel bei euch gekocht worden sind oder was verbindest du denn so mit der Küche bei deiner Mama, bei deinen Großeltern?

Ana Romas: So RD+, sowjetisch. So ein Festtisch, egal zu welchen Festen, bestand ja immer aus irgendeiner Suppe und dann so fünf Salate: Olivier, Schuba, der Karottensalat Funchosa und irgendwas mit roter Beete oder Hühnerleber, irgendwas mit Innereien und Mayo und dann: Salat! Hauptspeise immer, wenn es mal Fleisch gab, dann halt irgendein Fleisch und Butterkartoffeln. Ich hatte letztens noch so eine krasse Eingebung und habe dann meine Mama angerufen und meinte: „Ma, was ist Tunkbrie?“ Kennt ihr das?

Ira: Ne. Edwin nickt, ich kenne das nicht.

Ana Romas: Ich habe das voll vercheckt, aber ich konnte das früher – und ich konnte mich dann auf einmal erinnern – aus der Pfanne mit dem Löffel löffeln. Das war ausgebratener Speck / salo und dann in dem Fett, wie eine Béchamel, Mehlschwitze und dann mit Milch und voll oft noch irgendwas Saures rein. Und dann war das so wie eine billo-Speckbéchamel.

Ira: Aber sag mal, wie nennst du das? Weil ich kenne das auch, aber das heißt bei uns irgendwas mit tunken. Wie heißt es bei euch?

Ana Romas: Tunkbrie.

Edwin: „Brühe“. Brie ist „Brühe“. Also eine Brühe zum Reintunken. Ich lebe ja seit fünf Jahren in Westfalen und hier heißen Soßen einfach nur Tunken. Also etwas, wo man etwas reintunkt. Und das ist Wolgadeutsch und Tunkbrie ist einfach nur eine Soße. Das kenne ich, das hat meine Großmutter auch gemacht.

Ana Romas: Das gab es auch voll oft für Kartoffeln und so. Ich weiß nicht, wie ich draufkam, aber meine Mutter hat voll gelacht und meinte: Woher hast du das denn? Und ich so: Keine Ahnung! Und ich habe dann danach gegoogelt und ich wusste nicht, was die richtige Schreibweise ist. Und sie so: Hör mal, das war einfach das und das und wir haben alle gesagt, dass ist die deutsche Soße.

Ira: Ana, auf Instagram kochst du ja die Wunschgerichte deiner Followerinnen und Follower nach und teilst sie dann in den Reels. Was wünschen sich denn Leute aus den ehemaligen sowjetischen Ländern um die Weihnachtszeit oder um Neujahr am häufigsten? Hast du da schon einen Trend in den letzten Jahren ausmachen können?

Ana Romas: Es ist schwer einzuordnen, wer wo herkommt, von den Personen, die eine Nachricht durchschicken. Wenn man sein Gender in der Bio nicht angegeben hat, weiß ich nicht, an einer Flagge oder einer Blume kann man dann auch nicht erkennen, wie sich der Mensch persönlich einordnet. Genauso ist es auch mit den Nachrichten, die ich bekomme. Die kommen teilweise aus aller Welt und auch von allen zugewanderten Personen, aber ich habe jetzt seit drei Wochen sechs Strudeli-Wünsche auf jeden Fall.

Ira: Das hätten wir uns auch gewünscht von dir, wenn du nicht so viele Wünsche hättest.

Ana Romas: Und ich dachte mir so: Boah, Leute. Jetzt kommen auch wieder ganz viele Beschbarmaks und so. ich würde sagen, Gerichte, für die man sich nicht vier Stunden lang Zeit nimmt oder die man halt nicht fünfmal vier Stunden lang probieren möchte, vegetarisch zu machen. Dass man das dann irgendwie einer Person überlässt, die sich die Zeit nehmen kann, die Sachen zu probieren und dann vegetarisch ein Rezept weiterzugeben, von dem ich dann ausgehen würde, dass ich es einer Person anvertrauen kann, dass es gut schmeckt. Ich glaube, in die Richtung geht es, aber natürlich so Klassiker wie Olivier kommt jetzt voll oft wieder, Salat pod Schuboj, Baklazhany, Stolbiki.

Ira: Was sind Stolbiki?

Ana Romas: Das sind Auberginen, Karotte, Tomate. Kalte Sakuzki.

Ira: So übereinandergestapelt und ich vermute, ganz viel Knoblauch und Mayonnaise, weil sonst schmeckt es ja nicht.

Edwin: Gehst du auch hin und wieder zu einem sogenannten russischen Supermarkt und kaufst du da die Lebensmittel ein oder gehst du zu einem Biomarkt und kaufst dann dort diese Sachen.

Ana Romas: Unterschiedlich. Ich versuche tatsächlich, das aus den Discounter bis Stani-Supermarkt zu machen, weil jede Person, die auf dem Dorf X lebt oder keinen osteuropäischen Markt vor der Tür hat, die soll das ja auch nachmachen können. Deswegen versuche ich mich daran zu halten. Ich habe jetzt auch so ein Sommercocktail mit Tarchun und Wein gesehen und ich denke mir so, dass kriege ich nirgends hin. Man kann natürlich Tritop-Sirup kaufen, aber das ist einfach nicht das Gleiche. Und wenn es immer Sommer Estragon irgendwo gibt, mach ich auch selber Tarchun, da habe ich auch schonmal Rezepte für geposted, aber auch das ist nicht das Gleiche wie diese Limo, die wahrscheinlich aus 99 % aus Lebensmittelfarbe besteht.

Ira: Grüne Lebensmittelfarbe und Zucker und ein bisschen Estragon reingestreut. Ich kenne das vor allem aus Armenien und Georgien. Da gibt diese grüne Limonade immer.

Ana Romas: Tarchun heißt ja Estragon.

Edwin: Ich war neulich in diesem Supermarkt. In einem sogenannten russischen Spezialitätenladen. Aber bei dieser großen Kette. Für mich ist das irgendwie schon ein Erlebnis ehrlich gesagt. Ich gehe hin und wieder dann doch gerne hin, weil man auch einen bestimmten Schlag Menschen trifft. Die erinnern mich so an die älteren Tanten und Onkels von mir. Dann der Geruch, weil meistens dort auch Fisch oder auch Fleisch und alles Mögliche verkauft wird und dieser spezifische Geruch, den kenne ich eben aus meiner Kindheit, aus den Supermärkten aus der Sowjetunion. Vielleicht nicht so krass aber tatsächlich so. Und man wird dann sofort auf Russisch angesprochen. Ich brauchte Rindfleisch und dann hatte sie mich sofort mit einer Selbstverständlichkeit auf Russisch angesprochen. Und dann habe ich sie gefragt, woher denn das Fleisch stammt. Dann hat sie zu mir auf Russisch gesagt: Otkuda ja snaju.

Ira: Also, „Woher soll ich das wissen?“

Edwin: …aber dann musste sie selbst lachen, als sie das gesagt hat. Diesen Charme finde ich halt toll. Deswegen gehe ich da auch hin und wieder gerne hin.

Ana Romas: Dito. Ich liebe auch so diese kleinen Zankereien mit den Personen hinter den Theken, aber das Problem ist dann, man kommt so für zwei Sachen dahin und, das ist so das DM-Phänomen, dann geht man mit 130ig Euro weniger in der Tasche heim und kann nichts schleppen die ganze Zeit. Deswegen verbiete ich mir eigentlich dahinzugehen, außer einmal in drei Monaten.

Ira: Edwin, magst du die nächste Frage stellen?

Edwin: Ich glaube, die nächste Frage ist, wie du dich selbst definieren würdest, wenn du dich als Gericht definieren könntest? Was wärst du dann?

Ana Romas: Wenn ich das jetzt nicht in dem Kotext sagen würde, hätte ich direkt Pizza rausgehauen. Aber jetzt muss ich an irgendwas denken, was so affiliated ist. Ich glaube wirklich, diese blöde Kartoffel. Diese einfache Feuerkartoffel, die aber halt nur verbrannt und nur mit Salz geil schmeckt.

Ira: Was gibt es denn bei dir an Silvester dieses Jahr zu essen? Hast du schon einen Plan?

Ana Romas: Silvester machen wir wieder Raclette.

Ira: Vorbildlich! Du kleine Strebermigrantin.

Ana Romas: Genau. Aber so Alman-Raclette, nicht das richtige gute Schweizer Zeug, sondern Alman-Raclette. Aber auch nur, weil wir beschlossen haben, nicht hier zu sein, weil ich am 01.01. direkt wegfliege. Deswegen bleibt es bei Raclette bei Freunden. Ansonsten wird das aber ein relativ Stani-Tisch sonst, wenn wir hier feiern. Also wirklich mit den Salaten, die ich vorher beschrieben habe und sonst gibt es voll oft – nicht Ente sondern dieser andere Vogel.

Ira: Gans?

Ana Romas: Gans und immer irgendein Fisch, weil ich ja kein Fleisch esse, oder irgendwas Veganes. So Mock-Duck oder so. Wahrscheinlich dieses Jahr auch wieder und dann 15.000 Mayo-Salate und so. Am besten diese – ich weiß nicht, ob ihr die auch macht – mit getoastetem weißem Brot und mit Mayo und Reibekäse, fünf Kilo Knoblauch und dann eine Scheibe Tomate und Sprotti darauf, oder eine Gurke. Kleine Häppchen.

Ira: Was ganz Leichtes.

Ana Romas: Kleine Häppchen. Kleines Amuse-Bouche.

Edwin: Ana, wo bist du denn überhaupt aufgewachsen? Ira kommt ja aus dem Gebiet Zelinograd, heute Astana. Ich komme aus dem Gebiet Karaganda, da bin ich geboren. Wir sind beide in der benachbarten Steppe aufgewachsen. Wo bist du aufgewachsen? In der Steppe oder in den Bergen?

Ana Romas: Weder noch. Ich bin am Fluss aufgewachsen. Ich komme aus Katschiry. Das Dorf heißt mittlerweile anders. Das ist in der Nähe von Pawlodar. So 1,5 Stunden von da entfernt und direkt am Ufer vom Irtysch und zur anderen Seite ist direkt ein Wald gewesen. Das heißt, wir waren so umschlossen von Wald-Fluss-Wald. Wenn man aber eine halbe Stunde rausgefahren ist, weiter östlich, war da direkt Steppe. Da war ich aber nicht oft. Das heißt, ich war wirklich so ein Weidekind.

Edwin: Mit Irtysch kann ich was anfangen. Meine Mutter ist am Ufer vom Irtysch, aber auf der russischen Seite, aufgewachsen.

Ana Romas: Ist auch groß genug. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand von da herkommt, ist gar nicht so gering.

Edwin: Man sagt mittlerweile, dass es drei russlanddeutsche Flüsse gab. Das eine war der Dnepr in der Ukraine, dann die Wolga und nach der Deportation war es dann der Irtysch, der durch Sibirien und Kasachstan geflossen ist. Ich möchte noch gerne einen kurzen Buchtipp loswerden. Wer sich jetzt inspiriert fühlt, sich vielleicht auch ein bisschen akademischer oder wissenschaftlicher mit der russlanddeutschen Esskultur zu beschäftigen, für den oder die gibt es ein Buch von Anna Flack, die wir ja auch schonmal bei uns als Gästin in der Sendung hatten. Sie hatte zu dem Thema sogar promoviert und ihr Buch heißt „Zugehörigkeiten und Esskultur. Alltagspraxen von remigrierten und verbliebenen Russlanddeutschen in Westsibirien“ Sie hat die Essgewohnheiten, Esskultur der dort in Russland verbleibenden Russlanddeutschen untersucht. Vor einginge Jahren war sie dort auf Expedition. Ich glaube, drei Monate lang und hat sich wissenschaftlich mit diesem Thema beschäftigt. Auch sehr inspirierend. Da kann man auch wirklich forschen und sogar Doktorarbeiten schreiben, zu diesem Thema. Sehr interessant.

Ira: Danke, dass du unsere Gästin warst. Danke, dass es deinen unglaublich tollen Kanal „Russisch Raclette“ gibt. Ich liebe es. Und zwar auch, weil man deine drei dicken Mopsi-Katzen immer sieht, die so knuffig sind, und du ja auch deine Vorliebe für eingelegte Gurken darin immer teilst, die ich auch teile. Edwin, magst du auch eingelegte Gurken?

Edwin: Ich liebe eingelegte Gurken, aber noch mehr liebe ich eingelegte Tomaten, oder auch die Patisson also die Baby-Kürbisse. Da könnte ich mich reinlegen.

Ana Romas: Habe ich gestern gekauft. Frische für gefühlt 300.000 Euro und die lege ich am Wochenende ein.

Edwin: Ach, super! Viel Erfolg dabei. Und ich würde mir wünschen, Ana, vielleicht gibt es mal eine Möglichkeit, dass wir uns mal in Live treffen und auch mal zusammen kochen. Wir essen gerne und wir kochen auch gerne. Es wäre sehr schönes Live-Erlebnis.

Ana Romas: Gerne! Vielen Dank für die Einladung!

Ira: Ana, wenn man deine Rezepte nachkochen möchte und nicht auf Instagram ist, dann darfst du gerne nochmal dein Buch nennen. Vielleicht auch als Weihnachtsgeschenk, oder als Postweihnachtsgeschenk. Unsere Folge läuft ja einen Tag vor Weihnachten.

Ana Romas: Das Buch heißt „Anushka“ im Christan Verlag.

Ira: Dann alles Liebe für dich und bis bald und an euch alle frohe Weihnachten oder ein frohes Fest, je nach dem, was ihr macht, oder was auch immer ihr feiert. Kommt auf jeden Fall gut ins neue Jahr, wenn wir uns dann wieder hören

Edwin: Ja, auf jeden Fall. Bis ins Neue Jahr und dir, Ana, alles Gute und viele anregende und inspirierende Vorschläge deiner Follower.

Ana Romas: Vielen Dank! Danke für die Einladung und euch auch!

Ira: Danke. Poka, poka.

Edwin: Poka.